Totenstadt
eines Fußsoldaten der Außenpolitik glich. Hätte er doch aufgehört zu fragen, um was für eine Politik es sich dabei handelte. Sklavenstaaten stellten eine grausame Tatsache dar, selbst für einen Zyniker.
Die entfernten Geräusche der Jetmotoren an einem purpurnen Himmel im Ohr, hatte Moreno seinen vierten Whiskey hinuntergestürzt, dann Christophe Granvier angesehen und gesagt: »Wollen Sie hier raus?«
»Wie meinen Sie das?«
»Aus dem Land.«
Christophe hatte nicht lange darüber nachdenken müssen. »Das würde mir gefallen. Ja.«
Erleichterung. Er konnte den Mann nicht zum Auswandern zwingen, aber wenn er ihn zurückließ, würde man über kurz oder lang seine Leiche finden, wenn er denn überhaupt wieder auftauchen würde. Daran bestand für Moreno gar kein Zweifel. Faconde besaß garantiert noch einige Freunde, die nach ihm suchten. Die Immigrantenpolitik der USA mochte Haitianern gegenüber zwar nicht gerade freundlich gesonnen sein, aber Moreno war überzeugt, dass er zugunsten seines Freundes einiges bewirken konnte. Der Mann besaß schließlich immer noch ein Diplom einer amerikanischen Universität.
Und genauso einfach ließ es sich dann auch bewerkstelligen. Einige dieser Leute schuldeten Moreno mehr Gefallen, als er überhaupt zählen konnte. Wenn er einem von ihnen eine zumindest relative Sicherheit verschaffen konnte, dann war sein Leben vielleicht doch noch etwas wert.
Und er selbst? Ihm war klar, dass er sein Rücktrittsgesuch einreichen musste, sobald er wieder amerikanischen Boden betrat. Ein Leben als Privatmann klang für ihn zunehmend attraktiver.
In der Agency war er sowieso in einer Sackgasse gelandet, das war ihm durchaus bewusst. Eine Karriere konnte nur durch Beförderungen am Leben erhalten werden, und sein GS-13-Status bedeutete für ihn auch das Ende der Fahnenstange. Das war nicht seine Schuld; viele Angestellte der Agency dümpelten auf GS-12 oder GS-13 dahin und hatten keine Chance, es jemals in die höheren Ränge zu schaffen. Das galt auf jeden Fall für Frauen. Und er hatte einfach die falsche Hautfarbe. Inzwischen kannte er die Wahrheit genauso gut wie jeder andere.
Und so kündigte er.
Unten im Archiv loggte sich Moreno ins Netzwerk ein und besorgte sich auf elektronischem Weg alle Informationen, die die Abteilung »Organisiertes Verbrechen« des FBI über Nathan Forrest Mullavey und seinen Bruder und stillen Teilhaber zu bieten hatte. Er war nicht sicher, wonach er suchte; irgendein Stück, das er zu seinem Vorteil nutzen konnte. Er empfand zwar einen ungeheuren Respekt für Christophe, und das junge Paar, mit dem das Schicksal ihn in einen Topf geworfen hatte, schien einen klaren Kopf zu haben, aber trotz allem konnte er sich nicht auf sie verlassen, um ein vollständiges Bild aller Beteiligten zu erhalten.
So … irgendetwas, mit dem man Nathan Forrests Leute davon überzeugen konnte, sich zurückzuziehen? Es musste einfach auf diplomatischem Weg gehen; die Sache durfte nicht in einem Schusswechsel ausarten. In so einer Situation konnte niemand etwas gewinnen.
Nathan Forrests Profil sah aus wie das von zwei Dutzend anderen Wichtigtuern, die ihm schon unter die Augen gekommen waren. Moreno wusste nichts über die Unterwelt von New Orleans, aber er versuchte, über die aktuelle Lage in Miami auf dem Laufenden zu bleiben. Informationen waren auch eine Währung – er wollte sich schließlich nicht von einem anscheinend rechtschaffenen Geschäftsmann erzählen lassen, er würde über ein ausgeklügeltes Sicherheitsnetz verfügen, wenn er eigentlich im Kokaingeschäft tätig war.
Die Dateien deuteten an, dass Nathan Forrest sich in den Rängen eines Mobs, der hauptsächlich aus Südstaatenganoven und Iren bestand, hochgearbeitet hatte. Er war in jungen Jahren als Schieber eingestiegen, und man hatte ihn im Alter von sechzehn verhaftet, weil er einem doppelt so alten Mann dreimal in den Kopf geschossen hatte. Das Opfer war schwarz – da fragte man sich schon, ob die Ermittlungen besonders gründlich durchgeführt worden waren. Moreno fand in jedem Fall ein faszinierendes Porträt eines privilegierten jungen Mannes, der den falschen Weg eingeschlagen hatte. Der Vater war ein reicher Industrieller; da hatte er also den klassischen Fall eines Kindes, das sich möglichst stark von seinem Vater unterscheiden will.
Alles danach war typisch für einen Mann, der gelernt hatte, sich auf der Schattenseite der Stadt durchzuschlagen und das Rechtssystem zu seinem Vorteil
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