Totenstadt
mit den Achseln, warum nicht. Er rief Lewis, damit dieser den Empfänger einer kabellosen Einheit anbrachte, dann wählte er die Nummer des NOPD-Hauptquartiers. Er lag mit dem Rücken auf dem Tisch, während er wartete und Partridge einen großen Bereich mit einer kalten antiseptischen Lösung behandelte, dann punktierte er das pinkfarbene Fleisch mit einer Nadel und injizierte ein lokales Anästhetikum.
Aal bekam Henry Brouchard an den Apparat, einen der beiden, die versucht hatten, Justin Gray im Hotel festzunehmen. Brouchard notierte seine Nummer und sagte, er würde ihn von einem sicheren Anschluss aus zurückrufen.
Aal legte sich wieder hin und wartete. Der Doktor stand über ihn gebeugt. An dieser Haltung war immer etwas Schauriges, als würde gleich ein rituelles Abschlachten beginnen. Er sah den pflichtbewussten Blick in den Augen des Arztes, alles wird gut, vertrauen Sie mir, ein klinisches Lächeln und flatternde Haarsträhnen, die zu schnell grau und brüchig wurden. Ein dumpfer Druck in Aals Schulter, kein Schmerz, nur eine beharrliche Untersuchung. Er konnte es auch hören, ein feines Schaben, das durch die gut leitenden Knochen in sein Innenohr übertragen wurde. Er wagte nicht, hinzusehen, er wollte nicht wissen, wie tief die Metallzange in seiner Wunde versunken war.
Partridge zog die Kugel mit einem triumphierenden Lächeln heraus und hielt das blutige Ding wie eine Trophäe in die Höhe. Sie war durch den Kontakt mit Knochen und Knorpeln surreal verformt, und Aal dachte, dass sie wahrscheinlich so individuell wie Fingerabdrücke waren und sich stets unterschieden, wenn man sie aus dem Körper geholt hatte.
»Wollen Sie die?«, fragte Partridge. »Als Glücksbringer?«
»Nein«, ein heiseres Flüstern. »Ich glaube nicht an Glück.«
Der Doktor zuckte mit den Achseln und ließ sie mit lautem Klappern in eine Schale aus rostfreiem Stahl fallen, dann machte er sich daran, die Splitter zu suchen.
Henry Brouchard rief zurück, als Partridge die Wunde gerade mit einer geschwungenen Nadel vernähte. Brouchard wusste immer, was in der ganzen Stadt vor sich ging, und er erzählte eine finstere Geschichte, die Aals schlimmste Befürchtungen bestätigte. In seinem Geist dachte er an das Überleben auf fernen Ebenen, in Afrika, wo ein majestätischer Büffel vom Stolz eines Löwen bezwungen wurde. Wenn er erst einmal am Boden lag, dann würden sich immer mehr Fänge in ihn schlagen, um ein weiteres Stück herauszureißen.
Eine afrikanische Metapher in diesem Moment, warum? Oh, er wusste es. Haiti war nur eine Zwischenstation gewesen, an der eine der ältesten Religionen dem Einfluss durch andere Kulturen erlegen war. Wie sehr hatte er sich schon immer danach gesehnt, sein angenommenes spirituelles Erbe weiter zu erforschen. Eines Tages, hatte er immer gedacht.
»Ihre Männer sitzen ganz schön in der Scheiße, und Sie wissen es nicht einmal«, sagte Brouchard. »Michael Daudet und seine Jungs drüben in Algiers – sie werden es sein, sie können am stärksten davon profitieren –, sie haben keine Minute vergeudet, seitdem sie gehört haben, was letzte Nacht passiert ist. Nicht eine lausige Minute …«
Die Kugel geriet ins Rollen: Zwei Unterbosse, die einen Großteil von Nathans Hinterzimmerspielhöllen managten, waren mitten in der Nacht überfallen worden. Es gab Gerüchte über die Übernahme der Prostitutionsgeschäfte. Ein weiterer Unterboss, der eine große Nummer unter den Kredithaien gewesen war, trieb an diesem Morgen in einem der Kanäle. Eines von Nathans Lagerhäusern war abgebrannt, aber sie hatten lausige Arbeit geleistet, fast so, als hätten sie gewollt, dass die Behörden das gewaltige Lager geklauter Waren darin fanden.
Und für jeden Toten gab es wahrscheinlich viele, die die Nacht überlebt hatten und nun darüber nachdachten, wer ihre Loyalität verdient hatte.
Er konnte das Gefühl nachvollziehen.
Aber diese nächtliche Raserei machte Sinn. Wenn die Leute, die man jahrelang terrorisiert hatte, eine Schwachstelle entdeckten, dann war die Jagdsaison eröffnet, und es gab keine halben Sachen mehr.
Brouchard beendete das Gespräch, und Aal hatte eine tote Leitung im Ohr. Er dachte daran, Lewis wieder reinzurufen, als er hinter sich Schritte hörte. Die Nadelstiche in seiner Schulter hörten auf, und Partridge legte die Nadel beiseite, in der noch immer der schwarze Faden hing, der zu Aals Haut führte. Dann trat der Doktor einen Schritt vom Tisch zurück.
Etwas berührte Aals
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