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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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auf seinen Posten neben dem Bett zurück und stellte fest, dass er nicht länger stillsitzen konnte; da war zu viel Anspannung, seine Knochen würden den Stuhl garantiert sprengen. Er kniete sich hin, während er von der Treppe her ein lautes Knacken des Holzes und ein Stöhnen hörte, das im krassen Gegensatz zu den leisen Geräuschen stand, die April nun von sich gab.
    Mama Charity betrat gerade rechtzeitig das Zimmer, um zu sehen, wie sich Aprils Mund weit öffnete und sich ihre Brust ausdehnte, als würde sie einen tiefen Atemzug nehmen. Ihre Gliedmaßen waren steif und zitterten, sie bog den Rücken durch, und ihr Kopf hob sich quälend langsam vom Kissen. Justin wollte schon nach ihr greifen, aber Mama hielt ihn an der Schulter fest.
    »Geben Sie ihr eine Minute, um zu sich zu kommen«, sagte sie. »Sie hat sich seit Mittwoch nicht bewegt und wird ganz steif sein.«
    Die Augenblicke erschienen wie Stunden, diese Schmerzen der Wiedergeburt und des Wiederauferstehens. Ein Metabolismus, der so verlangsamt wurde, dass er kaum noch zu spüren war, kam jetzt wieder in Fahrt, und er hoffte, betete, dass sie wieder normal sein würde. Ihre Augen waren noch immer fest geschlossen, und ihre Lippen sahen trocken aus; sie waren trotz seiner Bemühungen, sie feucht zu halten, eingerissen. Justin tauchte zwei Finger in ein Wasserglas und tupfte dann damit gegen ihren Mund. Lazarus, der die Bitte des reichen Mannes, der auf Ewigkeit in der Hölle schmoren muss, gewährt.
    Er sprach ihren Namen aus, wurde aber ignoriert. Sie hustete, sie zuckte; sie atmete schnell, als würde sie gleich hyperventilieren oder eine Panikattacke bekommen, und er konnte es nicht länger ertragen; er beugte sich vor, um ihre Schulter zu berühren. In diesem Moment öffneten sich ihre Augen, blinzelten kurz gegen das Licht, und als ihr Blick den seinen traf, schien sie ihn kaum zu erkennen.
    Justin umklammerte sie umso mehr, und das war das Schlimmste, was er machen konnte, denn April begann zu jaulen, und oje, hatten Gott die herzergreifendsten Gebete, die er in seinem Leben gen Himmel gesandt hatte, noch immer nicht gereicht?
    Aprils Haar fiel in ihr Gesicht, peitschte das seine, und Mama Charity beugte sich besänftigend über sie, nur um ebenfalls zurückgestoßen zu werden. Vier Hände, um zwei zurückzuhalten, während die Federn des Bettes quietschten und die Hoffnung an ihrem eigenen Todesröcheln erstickte.
    »Okay, lassen Sie sie los, lassen Sie sie los, Justin«, sagte Mama. »Einer von uns wird noch verletzt, wenn wir so weitermachen.«
    Als er sie losließ, war ihm, als würde ihm das Herz zerspringen, und April beruhigte sich kurz darauf, wenngleich das nur für ihr körperliches Toben galt. Justin sackte auf dem Hartholzboden auf die Knie und sah zu, wie sie sich auf die Seite in Fötusposition zusammenrollte und die kalten, zittrigen Hände vor ihr Gesicht legte. Ihr Kopf wackelte einen Moment, dann stammelte sie einige Worte, deren Bedeutung nur ihr allein klar zu sein schien. Ameisen, Wind, Zähne, Würmer, verrotten, verwoben mit noch größerem Unsinn, Anzeichen verborgenen Leids.
    Als seine Muskeln protestierten und immer schwächer wurden, stützte er seinen Ellenbogen auf den Boden, um nicht lang hinzufallen. Hier war nun endlich der Preis, den er für seine Dummheit zahlen musste, der unausweichliche Kokon, in den seine Seele durch ein Gebiet aus Asche hindurchgezogen wurde. Lang möge er bluten.
    Auf dem Bett beruhigte sich April langsam, begann zu weinen und stammelte weiter vor sich hin, und Justin sah hinauf in Mama Charitys Gesicht, die Frieden mit dem eigenen Altern schloss.
    »Tut ihr das irgendjemand anders an?«, brachte er mit Mühe und Not hervor. Und er war ein Gläubiger, oh ja, er hatte die Effekte der Manipulation aus der Ferne gesehen. Welcher Trost wäre es, zu denken, dies seien die Marionettenfäden, die ein anderer bewegte und die sich durchschneiden ließen; aber was waren das für teuflische Umstände, dass er sich wünschte, sie wäre derart verletzlich.
    »Ich …« Mama zögerte, und Tränen liefen ihre Wangen hinunter. »Ich glaube nicht.« Sie hockte sich hin, achtete sorgsam darauf, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, dann legte sie ihm einen Arm um die Schulter und eine Hand an den Kopf. Er ließ es zu, wehrte sich nicht dagegen, nicht weil er sich nach dieser Art Trost sehnte, sondern weil er fürchtete, dass er einem anderen nie wieder so nah sein würde. Dieses Risiko konnte zu einer

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