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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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sich zumindest anstrengen, damit ich bereue, es je gesagt zu haben.«
    »Vielleicht später.« Sie neckte ihn natürlich nur und versuchte eine Leichtigkeit vorzutäuschen, die sie eigentlich gar nicht empfand. In ihrer Taktik lag eine unangenehme Verzweiflung, die er kaum ertragen konnte; es war, als ob sie sich zusammen mit jemandem, den weder ihre Fähigkeiten als Heilerin, Beichtmutter oder Priesterin erreichen konnte, auf unsicherem Terrain bewegte.
    Justin ging durch die Hintertür auf die kleine Veranda, um dort ein wenig auf dem Rasen herumzulaufen und frische Luft zu schnappen. Er war überwältigt von der Ungeschliffenheit des jungfräulichen Morgens, der noch nicht richtig angebrochen war, während die Vögel schon in jedem der gewaltigen Bäume zwitscherten. Nebel trieben in trägen Schwaden über dem See dahin, und er fragte sich, ob er solch eine Abgeschiedenheit in der Wildnis wohl jemals wieder ertragen konnte, ohne dabei abgrundtiefe Angst zu verspüren.
    Diese ganzen Verwicklungen, was hatte er – was hatten all die anderen – im Großen und Ganzen überhaupt für eine Bedeutung? Plötzlich sehnte er sich nach dem Asphalt in Tampa und dessen Brennen. Dort konnte er sich endlich in der Menge verlieren, wo es allen so leichtfiel, zu glauben, dass es einen Sinn und Zweck gab.
    Mama Charity kam mit zwei dampfenden Tassen in der Hand zu ihm hinaus und überreichte ihm eine davon. Wie lange konnte sich jemand eigentlich nur von Kaffee ernähren? Das wäre doch mal ein interessantes Experiment.
    »Was glauben Sie, wo sie jetzt sind?«, wollte er wissen.
    »Wer? Meinen Sie Napolean und Christophe?«
    »Und den Rest.«
    Sie seufzte tief und mit einer gewissen Altersschwäche, die sie ansonsten zu verbergen suchte. »Weit weg, hoffe ich. Weit, weit weg.«
    In der letzten Nacht während der gegenseitigen Verabschiedungen an der Tür war Justin aufgegangen, dass er sich noch nie zuvor seiner Rasse derart bewusst gewesen war. Das lag nicht an etwas, das jemand gesagt oder getan hatte, sondern es war etwas, das den anderen wahrscheinlich nicht einmal auffiel. Aber er war in der Minderheit, und das hatte ihm die Augen geöffnet. Vor Jahren, als er die Vorurteile in Bezug darauf, wie und wen man hassen sollte, die unter den jungen Männern im Mittleren Westen so verbreitet waren, überwunden hatte, war er der Ansicht gewesen, dass die Rasse ohne Belang sei.
    Aber das stimmte nicht, zumindest nicht, was die Gemeinsamkeiten betraf. Diese drei – Mama, Napolean und Christophe – waren durch ihre Herkunft verbunden, deren traurige Aspekte noch immer in den Taschen eines Ausbeuters zu finden waren. Und als sich zwei von ihnen anschickten, zumindest einen davon zur Strecke zu bringen, wusste Justin, dass er nie wirklich in der Lage sein würde, ihre Gefühle nachzuempfinden … denn dies war kein Teil seiner Abstammung. Er war nach oben gegangen und hatte gespürt, dass er in diesem Moment nicht richtig zu ihnen gehörte und er ihnen ganz allein gehören sollte.
    Weit, weit weg, hatte Mama gehofft.
    »Das hoffe ich auch«, meinte er.
    »Christophe soll mich am kommenden Montag im Laden anrufen, damit ich weiß, dass sie es geschafft haben. Ich habe nie wirklich viel für Wünsche übriggehabt … aber jetzt wünsche ich mir, dass es endlich Montag wäre.«
    Das Gefühl konnte er durchaus nachempfinden. »April sagte, Christophe habe ihr erzählt, dass er zurück nach Haiti will. Er habe das Gefühl, dass er das tun sollte. Können Sie sich das vorstellen? So wie die Dinge jetzt in Haiti stehen?«
    Sie nickte und sah in ihre Tasse. »Das überrascht mich nicht.«
    »Was immer er auch vorhat, ich wünsche ihm mehr Glück, als ihm hier zuteil wurde.« Er starrte über den See, verlor sich in den Nebeln und der Entfernung, als würde er seine eigene Vergangenheit sehen. »Als ich zwanzig war, wollte ich die Welt verändern. Als ich fünfundzwanzig war, wollte ich sie kaufen. Jetzt bin ich dreißig. Und ich hoffe nur noch, dass ich überleben werde.«
    »Sie sollten sich deswegen nicht zu schlecht fühlen«, erwiderte Mama Charity. »Sie haben es viel schneller begriffen als viele andere.«
     
    Das Ende seiner Wache kam kurz nach Mitternacht und wurde still und leise durch zuckende Finger und Augenlider eingeleitet, dann war auch ihr Atmen zu hören. Justin sprang auf die Füße und rannte aus der Tür.
    »Sie hat sich bewegt!«, schrie er die Treppe hinunter. »Kommen Sie hier rauf, April hat sich bewegt!«
    Er kehrte

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