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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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Unterhaltung auf die Talismane in den Gästezimmern bringen konnte. Vogelkrallen und Federn und Perlen … wie konnte man das beiläufig erwähnen und dabei völlig natürlich klingen? Er stellte fest, dass das unmöglich war. Man hält sich einfach die Nase zu, springt direkt hinein und hält die Augen offen, um alles mitzubekommen.
    »Ich würde gern Ihre Meinung über etwas hören«, sagte Justin und griff in seine Hemdtasche. Mit zwei Fingern holte er die Vogelkralle heraus und legte sie dann auf seine Handfläche. Die Zeit war sehr heilsam gewesen: Er konnte das Ding nun anfassen, ohne Abscheu, ohne Furcht. Denn seine Neugier war weitaus größer. »Warum war das neben meinem Bett versteckt?«
    Napolean schien weder überrascht noch mitschuldig zu sein. Er war auf einmal sehr ruhig und wirkte plötzlich sehr viel älter. Was hatten diese braunen Augen in diesem Haus gesehen? Was hatten diese Ohren gehört, die hinter dem Lenkrad der Limousine so gut wie unsichtbar waren? Wissen konnte eine schwere Last sein, und Lasten konnten den Träger entweder brechen oder noch stärker machen.
    Und dann lächelte er. Wie ein Priester.
    »Ich weiß es nicht. Sie reisen ab. Seien Sie deswegen nicht traurig. Wenn Sie nach Hause kommen, werden Sie glücklicher sein, dort sind Sie bei den Menschen, die Sie lieben. Und das ist doch alles, was wichtig ist, nicht wahr?«
    Justin widersprach ihm nicht. Es ging nach Hause.

11
V ERSCHIFFEN UND EMPFANGEN
     
    Um Mitternacht lag das Bayou Rouge bereits seit neunzig Minuten hinter ihnen. Aal und seine Begleiter, zwei bedingungslos vertrauenswürdige Männer, plus der Kapitän ihres gecharterten Boots. Der Skipper war in Bayou Rouge geboren und aufgewachsen, doch er hatte im Lauf der Jahre ordentlich von den heimlichen Importen diverser Dinge profitiert und sich mit seinem eigenen Tiefsee-Bootsverleih einige Meilen weiter die wabenförmige Küste hoch niedergelassen. Er war ein Mann mit einem Traum, Aal konnte das respektieren. Aber er stand doch stets bereit für die gelegentlichen Exkursionen, er war immer willig. Das Geld war gut, und die IRS musste nie ein Wort darüber erfahren.
    Aal trat hinaus an den Bug, an dem sich das Vorschiff stark verengte. Er stand im Bugkorb, direkt in der Spitze, und hielt sich mit beiden Händen an der Reling fest, um nicht umzufallen. Hier konnte er die Bewegungen des Bootes besser spüren, das sich sanft unter ihm hob und senkte. Seine Augen waren auf den vom Mond beleuchteten Horizont geheftet. Er fragte sich, wer noch so an dieser Stelle gestanden hatte, wenn auch unter anderen Umständen. Mit der Angelrute in der Hand, die Leine ausgeworfen und den Haken im Maul, den Kiemen oder dem Gedärm von etwas, das stundenlang kämpfen würde. Das, auch wenn es noch so erschöpft war, nicht aufgeben würde. Einen derartigen Kampf musste man einfach bewundern.
    Aal erschauderte und zog seine Jacke mit einer Hand etwas enger zusammen. Es war das zweite Oktoberwochenende, und nach Anbruch der Nacht konnte der Wind vom Golf her ziemlich frisch werden. Aber hier im Bugkorb gefiel es ihm, er hatte das ganze Schiff hinter sich, all die Pferdestärken. Und er befand sich direkt an der Spitze, wie eine Art nahender Gott. Hier konnte man einiges lernen, auch darüber, wie man sich die Kraft von etwas zunutze machte, anstatt sie zu bekämpfen. Manchen Dingen stellt man sich in den Weg und sie zermahlen einen, schneiden einen auf, lassen einen als feuchten Fleck auf ihrem Weg zurück. Der Mann, der wusste, wann man mit harter Hand walten musste und wann man locker ließ und sich treiben ließ … er war derjenige, der am Ende noch übrig blieb.
    Das Boot war allein, als es die Koordinaten erreichte, es befand sich etwa vierzig Meilen südlich des Festlands mitten im Golf. Der Cajunskipper schaltete den Motor aus und ließ den Anker fallen, und sie schickten sich an, zu warten.
    Aal verließ den Bugkorb und zwängte sich in die Kabine. Seine beiden Männer befanden sich darin, genau dieselben, die sich im Sommer um Dorcilus Fonterelle gekümmert hatten. Sie qualmten jetzt, als sie aus der Kälte kamen, und sahen aus, als ob sie bald wieder in New Orleans sein wollten.
    Nur wenige wussten die wahre Macht des Meeres bei Nacht wirklich zu schätzen.
    Aal ging weiter nach achtern und setzte sich in einen der beiden Drehstühle, die an jeder Seite des Deckes verankert waren. Er hob die Füße hoch, während er dem Stuhl einen kleinen Ruck verpasste, sodass er sich drehte, und

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