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Totenstadt

Totenstadt

Titel: Totenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian Hodge
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Abgasgeruch der Wagen, die kurz zuvor das Parkhaus verlassen hatten, hing noch in der Luft und konnte schwache Lungen belasten, und er hörte in der Ferne das Geräusch quietschender Reifen, die gewiss nicht so nah waren, wie sie sich anhörten.
    Aber warum rannte er auf einmal zu seinem Wagen?
    Seine Schritte schienen sich zu vervielfältigen und ihm wie Phantome zu folgen. Der Einhundertmeterlauf in Richtung Wahrheit und Gerechtigkeit und auf das Zeugenschutzprogramm zu, und plötzlich fühlte er sich leichter als jemals zuvor beim Verlassen seiner Arbeitsstätte; wann hatte er sich je so flink bewegt? Natürlich lag sein Aktenkoffer noch immer im Büro: endlich war er unbelastet, sah man mal von seinem Bewusstsein und seiner Seele ab; das waren im Grunde genommen nur noch Kleinigkeiten.
    Der Gedanke kam ihm in dem Moment, in dem er den Jungen durch das getönte Fenster der Limousine sah. Mullaveys Wagen, der auf seinem gekennzeichneten Parkplatz stand; sein Fahrer saß darin und wartete, er schlug gelangweilt die Zeit tot. Napolean Irgendwas.
    Sollte jemand darauf warten, dass Ty Larkin diesen Ort verließ – was eine rein hypothetische Annahme war –, dann würde er zweifellos damit rechnen, dass er am Steuer seines eigenen Audis säße und nicht in Mullaveys Wagen. Das war ein ironischer, aber nichtsdestotrotz brillanter Gedanke.
    Larkin ging raschen Schrittes hinüber und wollte gerade an dem Fenster klopfen, um Napolean, der den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen hatte, aus seinem Schlummer zu wecken, als dieser ihn irgendwie zu spüren schien. In Sekundenschnelle saß er aufrecht, grinste breit und ließ das Fenster mit leisem Surren herunter.
    »Ah, Mr Larkin«, seine Hand griff ans Radio, um die Lautstärke der Musik zu verringern. Die Dezibelzahl der Reggaemusik sank um etwa zwei Drittel. »Wie geht es …«
    Larkin fiel ihm augenblicklich ins Wort. »Mr Mullavey war so freundlich, sie mir für eine halbe Stunde auszuleihen. Meine Batterie ist leer.«
    »Er hat mir nichts gesagt.« Napolean klang entschuldigend, und Ty hätte ihm am liebsten eine gescheuert, um ihn unterwürfiger zu machen. Napolean griff nach seinem Handy, das er an die Gangschaltung geklemmt hatte. »Ich werde ihn anrufen, das dauert nicht mal dreißig Sekunden, und dann können wir los, o.k.?«
    Larkin blinzelte wütend mit einem Auge, in dessen Augenwinkel sich klebriger Schweiß sammelte. »Nein, nein, was denken Sie sich denn? Wenn er so spät noch hier ist, dann wird er wohl kaum Zeit haben, sich mit so was abzugeben, oder?« Wütend wischte er an seinem eigensinnigen Auge herum, was allerdings nichts brachte, außer dass seine Hand nun feucht war. »Machen Sie einfach die Tür auf.«
    Und er verlor langsam die Nerven. Im Vorstandsbüro war er noch cool gewesen, aber dies ging über seinen Horizont hinaus, und jetzt hatte er tatsächlich ein schlechtes Gewissen wegen der Toten.
    Napolean saß hinter dem Lenkrad und war nun ebenfalls angespannt; er sah ihn unbeugsam und mit prüfendem Blick an. »Lassen Sie mich einfach Mr Andrew anrufen, er ist in dieser Angelegenheit sehr streng, und ich kann Sie nicht einfach fahren, ohne von ihm die Anweisung …«
    Durch zusammengebissene Zähne: »Machen Sie einfach die Tür auf.«
    Napolean drehte den Kopf weg und sah stur geradeaus.
    »Machen Sie die verdammte Tür auf!«
    Dann dämmerte es Larkin, dass Napolean offenbar etwas ansah. Er drehte ganz langsam seinen Kopf und dachte, er würde seinen Nacken knacken hören – alles schien viel intensiver zu sein, jeder einzelne schwere Schlag seines Herzens, jeder Tropfen seines Schweißes und jeder keuchende Atemzug schien mehr Gewicht zu besitzen. Sein Bewusstsein war erweitert, um ihn genau zu diesem Moment zu führen. Es war in seiner kompletten körperlichen Erfahrung fast schon sexuell; kein Wunder, dass Männer, die man hängte, einen letzten Orgasmus in ihre Hosen ergossen.
    Der Mann …
    Die Schrotflinte …
    Die Eruption …
    Dann wurde er durchbohrt, befand sich im Griff von etwas, das sehr viel größer war als er und ihn mit Leichtigkeit von den Füßen holte, um ihn gegen die Betonmauer zu schleudern, Knochen splitterten, sein freudiger Ausbruch war rot anstatt weiß, und Äonen später fiel er, endlich. Alles Lebendige und Lebhafte um ihn herum, von dem er ein Teil war, brach zusammen und wurde zu einem großen Ganzen – das Aufheulen des Motors und das Quietschen der Reifen der Limousine, deren Scheinwerfer

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