Totenstätte
der Beifahrertür blieb sie stehen.
»Was machen Sie hier?«
»Ich habe Informationen.«
Sie richtete den Strahl der Taschenlampe auf ihn. Er trug Anzug und Krawatte, saubere Schuhe.
»Ich wollte wissen, was Sie hier machen?«
»Mein Wagen hat seinen Geist aufgegeben. Ich habe ein Taxi genommen.«
»Wollen Sie hier herumstehen und Scheiße reden oder meine Frage beantworten?«
Jenny leuchtete ihm ins Gesicht. McAvoy schirmte seine Augen ab.
»Ich wollte nicht am Telefon mit Ihnen sprechen … Ich habe herausgefunden, für wen Tathum gearbeitet hat, als die beiden Jungen verschwanden.«
»Und um mir das mitzuteilen, haben Sie so viel Geld für ein Taxi rausgeschmissen?«
»Ich wollte Sie nicht erschrecken. Wenn es Ihnen lieber ist, verschwinde ich wieder. Es ist nur …« Er schaute zu Boden und fuhr sich mit seinen Händen zerstreut durchs Haar. Dann hörte sie ihn tief ausatmen. »Die Wahrheit? Da tun sich tiefe Abgründe auf, Jenny. Ich bin mir nicht sicher, wie weit Sie sich hineinbegeben möchten, und da dachte ich, dass ich Ihnen besser hier davon erzähle, weit weg von allem. So können Sie selbst entscheiden. Ohne öffentlichen Druck.«
Langsam lenkte sie den Lichtstrahl von seinem Gesichtweg. Seine Stimme klang ernst. Hätte er sie schlagen wollen, hätte er direkt auf sie zustürmen oder sie aus der Dunkelheit heraus angreifen können. Er hätte ihr auch keine SMS geschickt und damit Spuren hinterlassen.
»Okay«, sagte sie. »Dann werde ich mir wohl mal anhören, was Sie zu sagen haben.«
Sie schloss die Haustür auf und führte ihn ins Wohnzimmer. Sofort setzte sie sich an den kleinen Esstisch und deutete auf den Stuhl gegenüber. Kein Smalltalk, kein Angebot, etwas zu trinken. Selbst im milden Licht ihrer Lampe sah McAvoy müde aus. Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen. Sein Gesicht war abgespannt, seine dichten Bartstoppeln grau. Er verschränkte seine Finger ineinander und lehnte sich vor, als hätte er lange mit sich gerungen und wäre dann zu einer schmerzhaften Entscheidung gekommen.
»Erinnern Sie sich an Billy Dean, den Privatdetektiv?«, fragte McAvoy. »Sein Sohn hat sein Büro übernommen. Ich habe ihn nach unserem Besuch bei Mr. Tathum angerufen und gefragt, ob er noch irgendetwas über ihn herausbekommen kann. Heute Morgen hat er mich zurückgerufen, kurz bevor Sie aufgetaucht sind.« Er lächelte gequält. »2002 war Tathum selbstständig gemeldet. Er hat ein Einkommen von fünfundsechzigtausend Pfund angegeben. Die Bankvorgänge zeigen, dass es in Form von drei Zahlungen vom selben Konto eingegangen ist. Das Konto lief auf den Namen Maitland Limited – ein privates Sicherheitsunternehmen mit Büro in der Broad Street in Hereford.«
»Woher weiß er das?«
»Vermutlich kennt er jemanden beim Finanzamt. Sein Vater hat das meiste Geld mit Scheidungen gemacht. Wie auch immer, bis zum Jahr davor hat Tathum seinen Lohn immer von der Army erhalten. Mit Mitte dreißig war er dann vermutlich zu alt dafür.«
»Was wissen Sie über Maitland?«
»Der Website zufolge ist die Firma Spezialist für Personenschutz. Hereford ist der Standort des Special Air Service, vermutlich rekrutiert Maitland von dort sein Personal. Ich habe mir sagen lassen, dass es eine Art lokaler Brauch ist: Die Exsoldaten des SAS wechseln zur anderen Straßenseite und machen ihr Glück im privaten Sektor.«
»Was hätte Maitland mit Nazim und Rafi anfangen sollen?«
»Sie wurden nur für eine Dienstleistung bezahlt. Wenn Sie mich fragen, könnten sie ein Einsatzkommando gestellt haben. Aber für wen? Vielleicht waren die Jungs Terrorverdächtige, und man hat sie weiß Gott wohin verschleppt. Oder sie waren Agenten, die aufgeflogen sind. In dem Fall leben sie nun vermutlich fröhlich irgendwo in Australien.«
»Warum erzählen Sie mir das jetzt?«, fragte Jenny. »Warum bewahren Sie sich das nicht für die Anhörung auf? Sie wissen, wie riskant es für mich ist, mit Zeugen zu sprechen. Jeder Beliebige könnte sich hinstellen und meine Untersuchung mit dem Argument kippen, dass mir Formfehler unterlaufen sind.«
»Das genau ist der Punkt, Jenny. Keiner von uns beiden weiß, wo der andere steht, nicht wirklich.« Er musterte sie mit einem traurigen, fragenden Blick. »Ich habe in meinem Leben genug schlimme Dinge gesehen und getan, um zu wissen, in was ich Sie da hineinziehe. Britische Staatsbürger verschwinden unter Mitwirkung ihres eigenen Staats – darf so etwas je an die Öffentlichkeit geraten? Nennen
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