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Totenstätte

Totenstätte

Titel: Totenstätte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. R. Hall
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tun sich einen Gefallen damit. Und das nächste Mal möchte ich Ergebnisse Ihrer Recherchen hören.« Er beugte sich über sein Notizbuch und schrieb seine Forderung hinein.
    »Sie werden langsam ungeduldig mit mir, nicht wahr?«, sagte Jenny.
    »Überhaupt nicht. Sie brauchen nur einen Schubs. Sie werden auch die Medikamente weiternehmen.« Er griff nach seinem Rezeptblock. »Vermutlich ist es nicht möglich, dass Sie bei der Arbeit kürzertreten?«
    »Nur wenn Sie mich zwangseinweisen.«
    »Wenn Sie sich so kratzbürstig verhalten, bedeutet dasnur eins für mich: dass Sie empfindlich sind. Wenn Sie also so weitermachen wollen wie bisher, seien Sie vorsichtig. Versuchen Sie, zu emotionale Reaktionen zu vermeiden.« Er tippte sich mit dem Finger an die Schläfe. »Die besten Urteile treffen Sie immer noch hier oben.«
    Sie holte die Tabletten in der Apotheke ab und nahm die erste Dosis auf dem Damenklo. Beide Medikamente waren neu für sie: eins blau, eins rot, wie Jelly Beans. Die Welt, in die sie Jenny entführten, war weniger bunt. Die Tabletten nahmen ihr die Energie und jedes Gefühl für Gefahr. Dafür konzentrierte sich ihre Aufmerksamkeit auf banale Dinge: die Anzeigen auf dem Armaturenbrett und auf das Quietschen, wenn sie auf die Bremse trat. Sie nahm zwar ihre Gefühle wahr, aber diese waren nur noch ein kalter Abklatsch von dem, was sie in den letzten zwei Tagen gespürt hatte. Sie konzentrierte sich auf die Untersuchung, und ohne jede bewusste Anstrengung reihten sich ihre Gedanken aneinander und formierten sich zu einer strukturierten Liste von Aufgaben, die in den nächsten Tagen zu erledigen waren: Jurymitglieder mussten angerufen, Zeugen vorgeladen und Gesetzestexte studiert werden. Dr. Allen hatte ihr den Verstand eines Bürokraten verpasst.
    Das Gefühl war von kurzer Dauer. Sie hatte erst den halben Weg nach Hause hinter sich, als ihr Handy piepte. Eine SMS war eingegangen: »Rufen Sie mich an. Dringend. Alec.«
    Sie zuckte zusammen. Dr. Allens Abschiedsworte hallten noch wie eine Warnglocke in ihren Gedanken nach. Sie sollte McAvoy ignorieren und ihn nur zu einer einzigen Gelegenheit sehen: im Zeugenstand. Unschlüssig schwebte ihr Finger über der Anruftaste, als der Empfang plötzlich schlechter wurde, dann ganz zusammenbrach und sie davon erlöste, eine Entscheidung zu treffen. Die zehn Minuten, die sie noch nach Hause brauchen würde, konnte sie nutzen, um sich wieder zu fassen.
    Als sie auf dem Fahrweg neben ihrem Cottage parkte, hatte sie bereits eine Strategie parat: Sie würde Alison anrufen und ihr sagen, dass sie jede Nachricht von McAvoy annehmen solle. Außerdem solle sie ihm mitteilen, dass die Anhörung am Mittwochmorgen wieder aufgenommen werde und er dann auch aussagen möge. Sie würde alles nach Vorschrift abwickeln und nichts an sich heranlassen. Mit den Gefühlen, die McAvoy in ihr aufgewühlt hatte, würde sie sich hinterher beschäftigen können. Dann würde sie ihn auch eindeutiger beurteilen und seine Motive besser verstehen können.
    Sie beugte sich zum Handschuhfach hinüber, um die Taschenlampe herauszuholen, mit der sie abends immer die zehn Meter zur Haustür zurücklegte. Als sie nach ihrem Schalter tastete, wurde ihr Wagen plötzlich in Licht getaucht. Erschrocken schaute sie auf und sah eine große männliche Gestalt neben der Halogenlampe im Eingangsbereich stehen, die sich automatisch anschaltete, wenn jemand in die Nähe der Haustür kam. In dem hellen Licht, das die Gestalt von hinten anstrahlte, konnte man keine Gesichtszüge ausmachen, aber die Silhouette war unverkennbar: der lange, dunkle Mantel, der Schal, die widerspenstigen Haare. Beschwichtigend hob er eine Hand, da er ihr den Schrecken offenbar ansah. Durch die Tabletten blieb ihr Herzschlag ruhig, aber eine wilde Hitze strömte ihr durch Brust und Hals und brannte auf ihren Lippen, als sich die Angst einen anderen Weg suchte, um Jenny zu warnen.
    »Ich bin’s nur«, rief er. »Alec. Es ist alles in Ordnung.«
    Sie dachte daran, einfach loszufahren und darauf zu hoffen, dass er verschwand, aber sie wusste, dass er das nichttun würde. Er war einer der Typen, die die ganze Nacht durchmarschierten und tagelang ohne Schlaf auskamen. Er besaß die Geduld eines Gefangenen, gepaart mit der Willenskraft eines Wahnsinnigen.
    Sie ließ den Schlüssel im Zündschloss stecken und stieg aus. Die Luft war schneidend. Die Taschenlampe hielt sie in einer abwehrenden Geste erhoben, als sie um den Wagen herumging. An

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