Totenstätte
nicht geglaubt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Die glauben nur, was ihnen passt.«
»Haben sie gesagt, dass sie Ihren Sohn für einen Extremisten halten, einen jungen Mann, der mit der Idee sympathisiert, gegen den Westen Krieg zu führen?«, fragte Khan.
»Das mussten sie gar nicht erst aussprechen. Es stand ihnen ins Gesicht geschrieben, sogar dem Inder, diesem Singh.«
Jenny schaute zu Rhys hinüber, der ihren Blick auffing. Wart’s nur ab , besagte seine Miene.
»Haben Polizei oder Geheimdienste Ihrem Eindruck nachüberhaupt auch nur erwogen, dass Ihr Sohn oder Mr. Hassan Opfer eines Verbrechens geworden sein könnte? Immerhin gab es an beiden Türen Spuren gewaltsamen Eindringens.«
»Nein. Nie.«
Mit Blick auf die Jury fragte Khan: »Wollte man Ihnen das Gefühl vermitteln, Mrs. Jamal, Ihr Sohn sei ein innerer Feind?«
Jenny warf Khan einen warnenden Blick zu. Sie würde keinen Showdown dulden.
Es sprach für Mrs. Jamal, dass sie nicht auf Khans Vorlage einging. »Man hat mir das Gefühl vermittelt, dass mein Sohn niemanden interessiert. Aber ich habe jeden Tag zu Gott gebetet, und ich glaube immer noch, dass Gerechtigkeit möglich ist.«
Khan blieb beharrlich. »Meinen Sie nicht, dass man Ihnen diese Untersuchung nur zugestanden hat, um den Ruf Ihres Sohnes als Verräter und Dschihadisten zu besiegeln?«
»Mr. Khan«, sagte Jenny, »ich warne Sie ein für alle Mal. Dies ist eine gerichtliche Untersuchung und kein Forum, um politische Gefechte auszutragen. Beim nächsten Mal sind Sie draußen.«
Eine Welle der Empörung schwappte durch den Saal. Anklagende Blicke richteten sich auf Jenny.
»Sie haben vollkommen recht, Ma’am«, sagte Khan. »Möge Gott uns davor bewahren, dass eine gerichtliche Untersuchung jemals für politische Zwecke missbraucht wird.«
Während er noch lächelte, kicherte jemand, und ein weiterer Mann stimmte ein. Bald darauf war der gesamte Saal in spöttisches Gelächter ausgebrochen. Jenny war auf dem falschen Fuß erwischt worden und zögerte einen Moment zu lange. Ihre Wangen wurden rot, und ihr Herz pochte hart gegen ihre Rippen.
9
D er halbierte Betablocker, den Jenny auf dem Weg aus dem Gerichtssaal genommen hatte, zeigte noch kaum Wirkung, als Alison klopfte und dann unaufgefordert eintrat.
»Mr. Rhys möchte Sie sprechen.«
»Sagen Sie ihm, dass er mir eine Mitteilung schicken soll.«
»Er besteht darauf.«
»Während einer Anhörung spreche ich nicht mit beteiligten Parteien. Das sollte er eigentlich wissen.«
Alison nickte wenig überzeugt, ging zur Tür zurück und schaute sich dann noch einmal um.
»Was denn noch?«, fragte Jenny ungeduldig.
»Ich denke, Sie sollten diese Zuschauer rausschmeißen, Mrs. Cooper. Die haben kein Interesse an dem Fall. Sie sind nur Pöbel mit ein paar Wortführern. Gerade stehen sie draußen vor dem Saal und sprechen in laufende Fernsehkameras.«
»Aber wie kann ich in Anspruch nehmen, eine offene und gerechte Untersuchung zu führen, wenn ich die Öffentlichkeit ausschließe?«
»Denken Sie etwa, diesen Leuten ist das wichtig? Die werden ihre Meinung sowieso nicht ändern.«
»Die da wäre?«
»Ihr Anwalt hat es doch praktisch schon gesagt. Er hält alles nur für Augenwischerei. Seiner Meinung nach dientIhre Untersuchung nur der Bestätigung, dass die beiden Jungen abgehauen sind, um Terroristen zu werden.«
»Mit den paar Typen werde ich schon noch fertig. Sagen Sie Rhys, er soll sich zum Teufel scheren.« Sie trank einen Schluck Wasser aus dem Glas auf ihrem Schreibtisch. Alison sah, dass ihre Hand zitterte, sagte aber nichts.
»Haben Sie McAvoy ausfindig gemacht?«, fragte Jenny.
Alison verzog das Gesicht. »Seine Kanzlei sagt, er sei mit einer komplizierten Gerichtssache beschäftigt. Er wird aber versuchen, heute Nachmittag herzukommen.«
»Kennen Sie ihn?«
»Jeder bei der Kripo kennt ihn.«
»Aha? Und was gibt es über ihn zu berichten?«
»Was er selbst darauf antworten würde, entspricht jedenfalls nicht den Tatsachen.«
Alison verließ den Raum.
Jenny lehnte sich zurück, schloss die Augen und versuchte sich zu entspannen. Sie hatte schon etliche anstrengende Anhörungen unter den Augen der Öffentlichkeit er- und überlebt. All die kranken, unerwünschten Gedanken waren nur Nebenwirkungen der Anspannung. Sie hatte sich im Griff.
Ihre Glieder wurden langsam schwer, als es plötzlich piepste. Eine SMS war eingegangen. Sie öffnete die Augen, griff nach dem Handy und las. Machen Sie was, Sie wollen.
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