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Totenstätte

Totenstätte

Titel: Totenstätte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. R. Hall
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paar Jurymitglieder zu gähnen begonnen hatten. Die Finessen der islamischen Theologie konnten ihre Aufmerksamkeit nicht fesseln. Es wurde Zeit, zum Kern der Sache vorzudringen.
    »Wann sind Nazim Jamal und Rafi Hassan zum ersten Mal in die Al-Rahma-Moschee gekommen?«
    »Ich glaube, am 1. Oktober 2001. Genau kann ich das nicht sagen. Erst kam Rafi. Nazim folgte einige Wochen später.«
    »Und wann haben sie erstmals an Ihren Diskussionsrunden teilgenommen?«
    »Irgendwann im November.«
    »Wer war außer ihnen sonst noch da?«
    »Die Leute kamen und gingen. Meist Studenten.«
    Er ratterte ein halbes Dutzend Namen herunter, behauptete aber, den Kontakt zu den meisten verloren zu haben. Jenny machte sich einen Vermerk. Falls nötig, würde sie die Leute ausfindig machen.
    »Können Sie uns erzählen, worüber typischerweise diskutiert wurde? Um was für Themen ging es?«
    Ali zuckte mit den Achseln. »Wir haben über Palästina geredet, über mögliche Lösungen für den Konflikt. Dann über den Krieg in Afghanistan, über den Verfolgungswahn der Amerikaner und wie die Muslime darauf reagieren sollten.«
    »Wie würden Sie Nazims politische Einstellung beschreiben?«
    Ali sah zu Mrs. Jamal hinüber. Sie blickte ihn fragend an. Dieser Mann kannte eine Seite ihres Sohnes, die ihr verborgen geblieben war.
    »Zu Beginn war er ziemlich ruhig, aber dann wurde er selbstsicherer und offener. Ich erinnere mich, dass er ein guter Schüler war. Er kannte seinen Koran in- und auswendig.«
    »Offener …? Für was genau?«
    »Für Ideen. Für die Vorstellung einer Gesellschaft, die auf religiösen Grundlagen beruht. Man könnte sagen, Nazim besaß die ungestüme Begeisterungsfähigkeit der Jugend.«
    »Und seine Einstellung zur Anwendung politisch motivierter Gewalt?«
    »Er war dagegen. Wie wir alle.«
    »Und Rafi Hassan?«
    »Er war stiller als Nazim und hat mehr zugehört. Ich hatte nicht das Gefühl, ihn gut zu kennen.«
    »Hatte er ähnliche Überzeugungen?«
    »Soweit ich weiß, ja. Sie müssen begreifen, dass unsere Gespräche nicht radikaler waren als die Diskussionen beliebiger anderer Studentengruppen, egal was die Geheimdienste geglaubt haben mögen. Wir waren jung und haben uns an bestimmten Ideen abgearbeitet, das ist alles. Vermutlich wurden wir überhaupt nur beobachtet, weil Sayeed Faruq auf einer Liste von Hizb-Mitgliedern aufgetaucht war. Er gehörte damit automatisch zur fünften Kolonne. Über britische Muslime wusste man ja damals nichts, als dass sie demselben Glauben wie die Terroristen angehören.«
    Bis jetzt hatte Jenny nichts, aber auch gar nichts Neues von Ali erfahren, der den beiden Vermissten nähergestanden hatte als irgendeine der Personen, die später noch in den Zeugenstand treten würden. Mit allen Mitteln versuchte sie ihm nun das Eingeständnis abzuringen, dass die Idee, für die muslimische Sache zu kämpfen, immerhin diskutiert worden sei, aber er ließ sich nicht darauf ein. Er leugnete, auch nur irgendeinen Kontakt mit Leuten gehabt zu haben, die potentielle Dschihadisten für den Kampf im Ausland anwerben wollten, und beharrte darauf, dass keiner der regelmäßigen Besucher der halaqah in der Marlowes Road auch nur die leiseste Neigung zum Kämpfen zu erkennen gegeben habe. Wohin Nazim und Rafi verschwunden waren, sei ihm völlig schleierhaft, und auf die Idee, sie hätten extremistische Überzeugungen gehegt, wäre er allein nie gekommen. Jenny bohrte weiter nach, um herauszufinden, ob er am Wochenende vor Nazims Verschwinden einen Stimmungsumschwung bei ihm bemerkt habe, aber auch dies bestritt er. Er habe den Mitgliedern seiner halaqah zwar nahegestanden, aber nicht in einem solchen Maß, dass er über die Einzelheiten ihres Lebens informiert gewesen sei. Ihre Treffen seien spiritueller und intellektueller Natur gewesen, nicht sozialer.
    Alis Auftritt war meisterhaft. Jenny glaubte nicht die Hälfte von dem, was er gesagt hatte.
    Allmählich war sie der Verzweiflung nahe. »Aber Sie müssen doch irgendeine Vorstellung davon gehabt haben, wohin die beiden gegangen sind. Wenigstens Gerüchte müssen Sie gehört haben.«
    »Nein, nichts dergleichen. Ich habe damals Hunderte von Fragen dieser Art beantwortet, und meine Antwort ist heuteimmer noch dieselbe. Ich schwöre bei Gott, bei Allah, dem Barmherzigen, dass ich nicht weiß, wo sie hingegangen sind und was aus ihnen geworden ist.«
    Der feierliche Schwur wurde mit respektvollem Schweigen quittiert. Die jungen Männer im Raum waren sehr

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