Totenstätte
ihnen gegangen wäre, hätte ich verrecken können.«
»Vielleicht wussten sie nicht, was sie sagen sollen.«
»Das Besondere an Schurken ist, dass sie mit den Konsequenzen leben. Vergessen Sie sämtlichen Soziologen-Bullshit. Niemand weiß so gut wie diese Leute, was Recht und was Unrecht ist. Eure Anwälte und Politiker und Geschäftsleute sind nicht einen Deut besser. Sie süffeln ihren Chablis, während den kleinen Mädchen in Afrika die Beine weggesprengt werden. Nicht die Räuber und Diebe, sondern all diese vornehmen Bastarde sind für das Böse dieser Welt verantwortlich.«
Sie schaute zu ihm hinüber und sah die Anspannung in seinem Gesicht.
»Tut mir leid«, sagte sie.
»Hören Sie gar nicht hin. Ich fasele immer dummes Zeug, wenn ich Kopfschmerzen habe.«
»Nur dann?«
Er lächelte gequält. »Halten Sie den Mund und fahren Sie.«
Als sie auf der anderen Seite der Brücke englisches Terrain erreichten, sagte McAvoy, sie solle zu einem einstöckigen Gebäude an der Zufahrt zu den Mauthäuschen abbiegen. Um diese Zeit waren viele Pendler unterwegs, und der Verkehr verdichtete sich in beide Richtungen. Er wies sie an, sitzen zu bleiben, während er nach Madog suchte.
Sie beobachtete, wie er sich einer jungen, uniformierten Mautkassiererin näherte, die aus dem Gebäude getreten war, um sich eine Zigarette anzustecken. Als er auf sie einredete, wirkte sie unsicher und schaute misstrauisch zu Jenny hinüber, bevor sie schließlich auf eins der mittleren Kassenhäuschen zeigte. McAvoy bedankte sich und gab ihr Feuer, dann lief er zwischen den Autoschlangen hindurch und zeigte einem Range-Rover-Fahrer, der sich darüber aufregte, eine halbe Sekunde verloren zu haben, den Mittelfinger.
Viel konnte sie nicht sehen, aber sie hatte nicht den Eindruck, dass Madog willens war, seine Arbeit zu unterbrechen. McAvoy klopfte an die Scheibe und gestikulierte. Irgendwann trat er auf die Fahrbahn und sperrte sie mit zwei Verkehrsleitkegeln ab. Als ein wütendes Hupkonzert einsetzte, eilte sofort ein Aufseher aus dem Gebäude. Jenny sprang aus dem Wagen und fing ihn ab.
»Entschuldigen Sie bitte, Sir. Jenny Cooper, Coroner des Severn Vale District. Wir müssen mit einem Ihrer Mitarbeiter sprechen, mit Mr. Frank Madog.«
»Wie bitte?« Er zeigte auf das Auto. »Wer hat Ihnen überhaupt erlaubt, dort zu parken? Das ist eine Zufahrtsspur.« Der Aufseher war Anfang dreißig, blass, übergewichtig und streitsüchtig.
Sie steckte die Hand in die Manteltasche und zog eine Visitenkarte hervor. »Es handelt sich um eine offizielle Ermittlung. Mr. Madog ist gesetzlich zur Mitarbeit verpflichtet. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dafür sorgen könnten, dass er zu uns herüberkommt.«
Mit dröhnender Stimme verfluchte McAvoy den Fahrer eines Lastwagens, der ihn schon fast mit den Scheinwerfern berührte.
Ohne die Visitenkarte zu beachten, fragte der Aufseher: »Und was ist das für ein Verrückter?«
»Keine Ahnung«, sagte Jenny, »aber Sie sollten sich sein Kennzeichen notieren.«
Den Tätowierungen auf seinen beiden Handrücken nach zu urteilen, hegte Frank Madog ein Faible für Elvis. Sein rötliches Haar hatte er zu einer Art Tolle zurückgekämmt, und das schuppenübersäte Hemd, das an seinen knochigen Schultern hing, erinnerte entfernt an Rockabilly-Zeiten. An der Wand der Container, die als provisorische Kantine für die Angestellten der Brücke dienten, gab es kaum einen Flecken ohne Rauchverbotsschild. Ohne Zigarette in der Hand fummelten Madogs nikotingelbe Finger nervös an dem Gestell seiner verschmierten Brille.
»Sie machen Witze, oder? Das ist echt schon eine Weile her«, sagte Madog. »Mehr als sieben Jahre.«
»Aber Sie erinnern sich doch, dass mein Kollege Billy Dean 2003 mit Ihnen gesprochen hat? Bulliger Typ. Glatze. Fett. Hässliches Gesicht.«
»Kann sein.« Er klang nicht sehr überzeugt.
»Kommen Sie, Mr. Madog. Wie oft wird man als Mauteintreiber von einem Privatdetektiv befragt?«
Madog kratzte sich an der Stirn und verzog das Gesicht, sodass der Blick auf seine gelben Zähne freigegeben wurde. »Wie ich schon sagte: Kann sein, dass ich mich an den Mann erinnere.«
Jenny warf McAvoy einen Blick zu, um ihn zu ermahnen, er möge mit Madog zivil umgehen. Immerhin handelte es sich um den offiziellen Besuch eines Coroners.
Er schlug tatsächlich einen respektvollen Ton an, was ihm ganz offenbar nicht leichtfiel. »Ich habe damals mit Mr. Dean gesprochen, und er hat mir Ihre Daten gegeben. Er
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