Totenstätte
klappte den Block auf, der vor ihr lag. »Okay, Mr. Madog. Falls Sie dann so weit wären?«
»Es war genauso, wie ich es dem Mann damals erzählt habe. Ich habe einen schwarzen Toyota gesehen, vorne drin saßen zwei Typen. Das war gegen elf Uhr abends. Der Fahrer war untersetzt, sein Schädel kahl rasiert. Der Beifahrer hatte einen Pferdeschwanz.«
»Wie alt waren sie?«, fragte Jenny.
»In den Dreißigern … Und die beiden Typen auf demRücksitz waren Indopakistaner. Sie trugen Bärte, sahen aber jung aus, fast noch wie Teenager.«
»Und wieso sind sie Ihnen aufgefallen?«
»Sie sahen irgendwie verängstigt aus. Der eine hat mich mit seinen großen braunen Augen so angeschaut, als würde er mir etwas sagen wollen.«
»Hat einer der Insassen mit Ihnen gesprochen?«
»Nein. Nicht ein Wort. Das war auffällig. Normalerweise bedanken sich die Leute. Mir ist es immer wichtig, freundlich zu sein.« Er machte eine Pause. »Nein, dieser Typ hatte ein finsteres Gesicht. Das war ein echt harter Kerl.« Er schluckte ängstlich. »Aber es war der andere, der mir dann aufgelauert hat.«
Jenny schaute auf. »Was soll das heißen?«
»Es war ungefähr eine Woche später. Ich hatte gerade mit meiner Enkeltochter das Haus verlassen. Sie war damals sechs. Ich wollte sie an dem Samstagvormittag zu ihrer Mama nach Hause bringen. Wir sind gerade ins Auto gestiegen, als der Typ mit dem Pferdeschwanz an die Beifahrertür geklopft hat. Ich ließ das Fenster runter, er hat sich reingelehnt und mit einem Lächeln gesagt: ›Falls jemand fragt, hast du uns nie gesehen.‹ Dann hat er eine Dose mit orangener Farbe aus der Tasche geholt und meiner Enkelin damit die Haare eingesprüht. Sie hat geschrien, aber er hat nicht aufgehört.« Madog schüttelte den Kopf. »Ich musste ihre Haare mit Terpentin auswaschen. Es hat den ganzen Morgen gedauert.«
»Und das haben Sie nicht der Polizei erzählt?«
»Wenn Sie dabei gewesen wären, würden Sie das nicht fragen. Der Typ hat gesprüht und dabei gelächelt .«
»Haben Sie Mr. Dean von dem Vorfall erzählt?«
»Von der Farbe nicht. Ich schwöre bei Gott, dass nicht einmal meine Tochter etwas davon erfahren hat.«
»Der Mann muss Ihnen wirklich Angst eingejagt haben.«
»Ja. Er war wie ein … wie der …«
»Der Teufel in Menschengestalt?«, schlug McAvoy vor.
»Sie sollten sich von den Leuten nichts bieten lassen«, sagte McAvoy. »Sie sind der Coroner, um Himmels willen. Sie haben mehr Macht als ein High-Court-Richter.«
»Wohl kaum.«
»Gehen Sie ran da! Packen Sie die Leute bei den Eiern, wenn Sie schon selbst keine haben.«
Jenny schaute ihn kurz an, während sie den Golf auf die Ausfahrt zur Tankstelle lenkte. Er sah auf eine verbrauchte Weise gut aus, war aber nicht der Typ, dem man seine Handtasche anvertrauen würde. Ihm haftete etwas von einem gewieften Schwindler an: Sein Auftritt war perfekt, aber man wusste nicht, ob der schöne Schein nicht schon alles war, was er zu bieten hatte.
»Was werden Sie also tun? Dieser Typ mit dem Pferdeschwanz scheint ein ganz übler Hurensohn zu sein. Ein echter Profi, der genau weiß, wie er die Leute zu nehmen hat. Sprüht Farbe ins Haar eines kleinen Mädchens – Jesus!«
»Ich werde meine Assistentin bitten, Madogs Aussage aufzunehmen und ihn als Zeugen vorzuladen.«
»Und was soll die Jury damit anfangen? Erstmal müssen Sie den Toyota finden. Und natürlich den Typen mit dem Pferdeschwanz.«
»Den schwarzen Toyota? Davon gibt es sicher Tausende.«
»Sie werden überrascht sein. Von diesem Modell vermutlich nur ein paar Hundert. Schauen Sie, wo sie angemeldet sind. Es gibt nicht viele Orte, die man über die Severn Bridge erreichen kann. Die Straße erschließt nur das Grenzland.« Er schlug mit der Hand aufs Armaturenbrett, um seinen Worten Gewicht zu verleihen. »Sie müssen herausfinden, wer diese Leute sind, bevor die eine Chance bekommen, Madog wieder etwas anzutun. Verdammt, der Fall hat mich wieder voll gepackt.«
Jenny dachte darüber nach. Seine Leidenschaft hatte etwas Ansteckendes. »Vielleicht kann es tatsächlich nicht schaden. Die meisten Jurymitglieder schienen es nicht besonders eilig zu haben, zu ihrer alltäglichen Arbeit zurückzukehren.«
»So ist es recht.« Er grinste. »Braves Mädchen.«
Jenny fuhr auf den nahezu leeren Parkplatz. In ihrem Kopf schwirrte die Frage herum, wer die Männer im Toyota gewesen sein mochten. Konnte sie überhaupt sicher sein, dass Madog die Wahrheit sagte? Wieder schaute
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