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Totenstätte

Totenstätte

Titel: Totenstätte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. R. Hall
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doch einmal darüber nach. Er wird Zeugen auftreiben, um seine Behauptung zu stützen, dass er Opfer einer Verschwörung geworden ist. Dann versammelt er die Medien hinter sich, und bevor man sich’s versieht, ist die Anwaltskammer gezwungen, ihm seine Zulassung zurückzugeben.« Alison sah Jenny fast flehentlich an. »Er ist ein kluger Mann, Mrs. Cooper, aber er ist abgrundtief schlecht. Es ist ihm vollkommen egal, was mit den beiden Jungen passiert ist. Dieser Mensch hat sich einen Namen damit gemacht, Verbrecher, Vergewaltiger und Mörder zu vertreten.«
    »Okay«, sagte Jenny. »Verstanden. Aber ich werde die Sache mit dem Auto trotzdem verfolgen, und Sie nehmen eine offizielle Zeugenaussage von Madog auf.«
    Jenny zog sich in ihr Büro zurück. Das ursprüngliche Misstrauen McAvoy gegenüber hatte sich wieder eingestellt. Alisons Ausbruch erklärte auch, warum sich Jenny in seiner Gesellschaft so unwohl fühlte. Irgendetwas an seiner Ausstrahlung machte ihr Angst, und es war nicht nur die Empfindlichkeit eines zu Unrecht in Ungnade gefallenen Mannes, der sich an die paar Fetzen seiner verbliebenen Würde klammerte. Es war seine ganze Gesinnung, die ein gewisses Unbehagen bei ihr hinterließ. Ihm schien etwas von seiner Menschlichkeit verloren gegangen zu sein. Die Sache mit den Verkehrsleitkegeln und dem Lastwagen etwa … Er war leichtsinnig, spielte mit dem Feuer und scherte sich nicht um die Folgen. Aber wenn er sie anschaute … In ihrer Brust war Hitze aufgewallt und ihr dann unmittelbar zwischen die Beine geschossen. Sie schämte sich fast, sich das einzugestehen.
    Schnell verdrängte sie die Gedanken, griff nach ihrem Adressbuch und suchte die Nummer von Kriminalmeister Owen Williams heraus, ihrem Kontakt jenseits der walisisch-englischen Grenze. Sie erwischte ihn in der Frühstückspause. Seit dem Fall mit Danny Wills hatten sie vielleicht drei, vier Mal miteinander gesprochen, und jedes Mal war er hocherfreut gewesen, von ihr zu hören. Er lauschte aufmerksam, als sie ihm, ohne McAvoy zu erwähnen, von einem neuen Zeugen erzählte und ihn fragte, ob er ihr dabei behilflich sein könne, alle schwarzen Toyota Minivans ausfindig zu machen, die an einem bestimmten Junitag vor acht Jahren in der Nähe der Severn Bridge gemeldet gewesen waren.
    »Ich wäre hoch-er-freut, das tun zu dürfen«, sagte Williams in seinem Waliser Singsang. »Für meinen Lieblingscoroner würde ich alles tun, zumal Sie ja – wie ich annehme – nicht darauf vertrauen dürfen, dass die Polizei von Bristol einen anständigen Job für Sie macht.«
    »Ein paar der Beamten, die damals an den Ermittlungen beteiligt waren, sind noch im Amt.«
    »Sie müssen gar nicht weiterreden, Mrs. Cooper. Sie wissen ja, dass ich einem thailändischen Bordellbesitzer mehr vertraue als diesen englischen Bastarden.«
    Jenny hatte kaum aufgelegt, als das Telefon klingelte und Alison ihr sagte, dass Mrs. Jamal am anderen Ende der Leitung sei.
    »Stellen Sie sie durch.«
    Jenny wappnete sich innerlich. Sie wurde von untröstlichen Schluchzern begrüßt.
    »Mrs. Jamal? Hier ist Mrs. Cooper. Was kann ich für Sie tun?«
    Das Schluchzen hielt an. Mrs. Jamal brachte kaum etwas heraus, außer etwas, das klang wie: »Ich weiß nicht … Ich weiß nicht …«
    Jenny hatte sie darauf ansprechen wollen, dass sie McAvoy gegenüber den Verdacht geäußert hatte, Nazim könnte damals eine Freundin gehabt haben, aber der Moment warnicht günstig. Mrs. Jamal brauchte jetzt offenbar jemanden, der ihr zuhörte und ihr Leid würdigte.
    Jenny rang sich die wenigen Worte des Trostes ab, die ihr in den Sinn kamen, und hörte sich selbst sagen: »Ich verspreche Ihnen – ich werde keine Ruhe geben, bis ich alles auf den Kopf gestellt habe, um herauszufinden, wo Ihr Sohn abgeblieben ist.«
    Da sich die Symptome in den letzten Tagen kontinuierlich verschlimmert hatten, begann Jenny, sich vor den langen Stunden zwischen Büro und Schlaf zu fürchten, zumal sie ihre Angst weder durch Alkohol noch durch Beruhigungsmittel lindern durfte. Sank ihr Adrenalinspiegel, stieg ihre diffuse Panik so verlässlich, als müssten die beiden stets wie bei einer altmodischen Waage ausbalanciert sein. Jennys Wunsch, Ross nichts davon spüren zu lassen, intensivierte den Schmerz noch. Ihre Beziehung zu ihrem Sohn hatte sie auf das Versprechen gegründet, dass sie zurechtkam und sich nichts sehnlicher wünschte, als dass er bis zur Uni bei ihr wohnte. Leicht war es für ihn nicht gewesen, aus dem

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