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Totenstätte

Totenstätte

Titel: Totenstätte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. R. Hall
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Lächeln gehörte zu einem anderen Mann als zu dem, den sie im vergangenen Juni kennengelernt hatte. Er war freundlicher, direkter, weniger geheimnisvoll. Die Nähe machte sie merkwürdig traurig. Wenn ihre Gefühle explodierten, war das immer noch intensiv, aber die Momente verflüchtigten sich schneller. Steves Berührung war nicht mehr so elektrisierend, der absolute Überschwang fehlte. Außerdem wollte er immer mehr von ihr wissen, sie kennenlernen, obwohl sie sich doch selbst nicht einmal kannte.
    »Ich glaube, du brauchst etwas Schlaf«, sagte Steve. Er küsste sie auf die Stirn, schlüpfte unter der Bettdecke hervor und zog sich an.
    »Ich melde mich«, sagte er und ging.
    Schuldbewusst lauschte Jenny auf seine Schritte auf der Treppe. Er war ein netter Typ, sie mochte ihn, aber als sie miteinander geschlafen hatten, hatte sie sich einen Moment vorgestellt, er wäre jemand anderes. Das beunruhigte sie. Es war, als hätte der permanente Sog, der sie in die finsteren Ecken ihres Bewusstseins zog, eine weitere Schwachstelle gefunden, an der er ansetzen konnte. Das einzig Unverfälschte, was ihr bisher geblieben war, war nun auch noch verdorben worden.
    Aus lauter Angst vor dem, was ihr Geist mit ihr anstellen wollte, nahm sie sich zusammen, kämpfte sich aus dem Bett und suchte ihr Tagebuch. Sie würde die quälenden Gedanken aufschreiben. Vielleicht würden sie verschwinden, wenn sie schwarz auf weiß vor ihr standen. Kaum aber hatte sie geschrieben: Als er seine Hand auf meinen Bauch legte, schloss ich die Augen und stellte mir vor, er sei Alec McAvoy , da spürte sie wieder dieses warme Gefühl.
    Es war dasselbe wie damals, als sie Steve zum ersten Mal gesehen hatte. In ihrem tiefsten Innern hatte sie bereits gewusst, was passieren würde.

12
    K riminalmeister Williams hatte schnell gehandelt. Als Jenny ins Büro kam, fand sie eine Liste in ihrem E-Mail-Postfach. Sie enthielt die knapp fünfhundert schwarzen Toyota Minivans, die im Jahr 2002 im Vereinigten Königreich gemeldet waren, mitsamt Adresse ihrer Besitzer. Sie reichte die Liste an Alison weiter und bat sie, alle herauszusuchen, die entweder in Bristol oder in einer Fünfzigmeilenzone Richtung Norden gemeldet waren. Das war ein ziemlich willkürlicher Ansatz, aber irgendwo musste man ja beginnen. Sie hatte auch eine E-Mail von Kriminalmeister Sean Murphy bekommen, der sie darüber informierte, dass die verschwundene Jane Doe und der Brand von Meditect mittlerweile als ein und derselbe Fall behandelt wurden. Alison wusste von internen Gerüchten, denen zufolge die Kripo eine sehr vage Spur aus dem Bereich der organisierten Kriminalität verfolgte. Möglicherweise hatte das Mädchen etwas über eine Bande von Menschenhändlern erzählen wollen.
    Eine weitere E-Mail traf ein, als sie die von Murphy schloss. Sie war von Gillian Golder und enthielt einen Link zu einem Artikel auf der BRISIC-Website. »Liebe Grüße, Gillian« stand darunter. Der Artikel war anonym verfasst und trug die Überschrift: »Coroner vertagt Anhörung zu den verschwundenen Jungen«. Der Autor spekulierte, dass Regierungsstellen vom hohen Tempo der Untersuchung in Panik versetzt worden seien und das Ganze gestoppt hätten, bevorirgendwelche kompromittierenden Beweise hätten auftauchen können. Er zitierte nicht belegte Gerüchte über angebliche Lockvögel, die junge britische Indopakistaner dazu bewegen sollten, ins Ausland zu gehen, wo sie dann heimlich verhaftet und eingesperrt wurden. Der letzte Absatz endete mit den Worten:

    Wir dürfen nicht erwarten, dass die Untersuchung des Coroners irgendetwas ans Tageslicht bringen wird, das wir nicht schon längst wissen. Die kleine Chance darauf wurde verschenkt. Mrs. Cooper hat dem Druck nachgegeben und den trauernden Familien und ihrer Gemeinschaft die Möglichkeit verwehrt, die Wahrheit herauszufinden.
    Einen Moment lang spielte Jenny mit dem Gedanken, Gillian Golder zu vertrauen, ja, sie sogar zu bitten, ihr bei der Suche nach dem Toyota und seinen Insassen zu helfen. Die Vertraulichkeit des kurzen Grußes war entwaffnend – man stand schließlich auf derselben Seite, Jenny war in der Sache nicht allein. Dann besann sie sich. Golder war eine Spionin, um Himmels willen, eine professionelle Betrügerin. Es war ihr Job, falsche Freundschaften zu schließen und Menschen das Gefühl zu geben, bei ihr gut aufgehoben zu sein.
    Knapp schrieb sie zurück: »Vielen Dank. Inhalt zur Kenntnis genommen.«
    Ihre Aufgabe war es zuerst einmal,

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