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Totenstätte

Totenstätte

Titel: Totenstätte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. R. Hall
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Die Atmosphäre wurde mit jeder Sekunde angespannter. Trotzdem gab es noch eine Frage, die, so lächerlich sie auch sein mochte sie sich zu stellen verpflichtet fühlte. »In Ihrer Aussage vor Gericht haben Sie auch behauptet, dass man Sie auf der Straße verfolgt …«
    »Sie glauben mir nicht?«
    »Erzählen Sie mir davon.« Jenny lächelte ermunternd. »Bitte.«
    »Es hat vor zwei Monaten angefangen, als ich mich ans Gericht gewendet habe, um Nazim für tot erklären zu lassen. Plötzlich parkte andauernd ein Wagen auf der anderen Straßenseite. Zwei Männer saßen darin, manchmal auch nur einer. Sie waren jung, trugen Anzüge. Von da drüben konnte ich ihre Gesichter erkennen.« Sie zeigte hinter sich auf die Tür, die auf einen schmalen Balkon hinausging. »Immer wenn ich das Haus verließ, waren sie da. Manchmal sind sie mir mit dem Auto gefolgt, manchmal zu Fuß.«
    Jenny verbarg ihre Skepsis. »Wie sahen sie aus?«
    »Fünfundzwanzig, dreißig. Weiß. Beide groß, kurze Haare, an den Seiten kahl geschoren – wie bei der Army.«
    »Würden Sie sie wiedererkennen?«
    »Nicht wirklich.«
    »Und haben Sie sie in letzter Zeit gesehen?«
    Mrs. Jamal schüttelte den Kopf. »Diese Woche nicht. Aber nachts bekomme ich immer noch Anrufe. Es klingelt vier, fünf Mal, dann hört es auf. Wenn ich mich melde, ist niemand dran … Was denken Sie, wer die sind, Mrs. Cooper?«
    Eingebildete Dämonen, dachte Jenny. Weiße Dämonen, die wie Soldaten aussehen.
    Normalerweise hatte sie mit klaustrophobischen Ängsten zu kämpfen, wenn sie über die Autobahn fuhr, doch jetzt fühlte sie sich eher, als befände sie sich außerhalb ihrer selbst. Das Gefühl stammte nicht nur vom Schleier der Medikamente, der sich schwer über sie legte, sondern auch von dem der Unwirklichkeit. Es gab so viele unbeantwortete Fragen, so viele abstruse und erschreckende Möglichkeiten, dass sie sich keinen Reim mehr auf die Dinge machen konnte. Warum hätte Nazim auf dem Höhepunkt seines religiösen Eifers mit einem weißen Mädchen schlafen sollen? Wer war der Mann mit dem Pferdeschwanz? Gab es ihn überhaupt? War Mrs. Jamal eine Spinnerin? War McAvoy einer? Und warum musste sie immer an ihn denken?
    Was wollte er ihr mitteilen?
    Auf keine dieser Fragen hatte sie eine Antwort. Es war, als hätte sie ein Laufband betreten, das niemals endete. Das Ziel kam nicht näher und blieb für immer verschwommen.
    Sie war von etwas besessen, wie McAvoy vielleicht gesagt hätte. Sie hatte keine Wahl.
    Der einfache Gemüseladen der Hassans hatte sich zu einem kleinen Supermarkt für asiatische und karibische Spezialitäten vergrößert. Er war in einer ehemaligen Tankstelle untergebracht, der Platz davor diente jetzt als Kundenparkplatz. Die gesichtslose Gegend von Kings Heath, eigentlich eine Ansammlung von schmuddeligen viktorianischen Reihenhäusern, schien sich zum Positiven hin zu entwickeln. Jenny parkte neben einem glänzenden Mercedes, aus dem ein indopakistanisches Paar in identischen Lederjacken stieg. Ihre Tochter trug eine ähnliche Jacke in Rosa.
    Jenny ging auf einen jungen Verkäufer zu, der Kästen einer billigen Biersorte schleppte, und fragte ihn nach Mr. Hassan. Erst als er überzeugt war, dass sie nicht vom Finanzamt kam, machte er sich auf die Suche nach seinem Chef. Kurz darauf kehrte er mit der unglaubwürdigen Auskunft zurück, dass Mr. Hassan bei einer Versammlung sei und erst sehr viel später zurückkomme. Jenny erblickte durch den Gang ein Büro, das mit Spiegelglas vom Einkaufsbereich abgetrennt war, und erklärte dem Angestellten, er solle Mr. Hassan ihre Visitenkarte auf den Schreibtisch legen, damit er sie sofort nach seiner Rückkehr anrufen könne. In der Zwischenzeit würde sie versuchen, bei seiner Frau zu Hause vorbeizuschauen.
    Die Miene des jungen Mannes wurde misstrauisch. »Worum geht es denn genau?«
    »Um etwas, das vor acht Jahren passiert ist. Sein Sohn wurde als vermisst gemeldet.«
    »Rafi?«
    »Kannten Sie ihn?«
    »Ich werde Mr. Hassan die Nachricht überbringen«, sagte er. Schnell fügte er hinzu: »Wenn er zurückkommt.«
    Sie hatte noch nicht den Zündschlüssel in ihrem Wagen umgedreht, als ihr Handy klingelte. Sie wartete ein paar Sekunden und ließ ihn schwitzen.
    »Hallo. Jenny Cooper.«
    »Imran Hassan. Was kann ich für Sie tun?«
    »Vielleicht wäre es besser, wir würden uns nicht vor Ihren Mitarbeitern unterhalten. Nach Möglichkeit würde ich auch gerne Ihre Frau miteinbeziehen.«
    Die Hassans hatten

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