Totenstätte
Display der neuen, eleganten Anlage: Mrs. Jamal. Jenny war unentschlossen, kämpfte mit ihrem Gewissen. Alison war schon zur Kirche aufgebrochen, also musste sie allein damit fertig werden. Sie griff nach dem Hörer und war fest entschlossen, das Telefonat so kurz wie möglich zu halten, als ihr Handy klingelte. Instinktiv gab sie ihm den Vorzug.
»Hallo?«
»Mrs. Cooper?«, sagte eine vertraute Stimme. »Ich wollte mich nur erkundigen, wie es mit den Nachforschungen zu dem Wagen läuft.« Alec McAvoy.
»Oh, hallo«, sagte Jenny und merkte überrascht, dass ihre Stimme höher war.
Das Telefon hörte auf zu klingeln. Erleichtert trat Jenny in den Flur und schloss die Tür hinter sich ab. Mrs. Jamal konnte eine Nachricht hinterlassen.
»Wir haben eine Liste von Kandidaten«, sagte sie.
»Gut gemacht. Ich dachte schon, die Polizei würde Sie außer Gefecht setzen.«
»Ich kenne Mittel und Wege, sie zu umgehen.«
»Klingt spannend.«
»Betriebsgeheimnis, tut mir leid.« Um Himmels willen, was sagte sie da bloß?
Noch als sie das Haus verließ, hörte sie in weiter Ferne erneut das Telefon klingeln. Mrs. Jamal war offenbar nicht geneigt, sich mit dem Anrufbeantworter abzufinden.
»Ich dachte, wir könnten den Drink später vielleicht nachholen und noch ein paar Ideen wälzen«, sagte McAvoy.
»Was war das noch gleich für ein Drink?« Sie konnte sich nicht beherrschen, sie flirtete mit ihm wie ein albernes Schulmädchen.
»Der Kaffee, für den Sie keine Zeit hatten. Gegen Abend könnte es allerdings auch ein Gläschen von irgendetwas anderem sein.«
Sie nahm sich zusammen. »Danke, aber darauf sollte ich mich wirklich nicht einlassen, bevor Sie nicht Ihre Aussage gemacht haben.«
»Ein bisschen spät, um sich darauf zu berufen, oder?«
»Alec, Sie kennen die Gepflogenheiten …«
»Ich habe in meinen Fachbüchern nachgelesen und ein paar Ideen für Sie ausgegraben …Wie man zum Beispiel diese Scheißkerle vom MI5 dazu bringen kann, ihre Akten rauszurücken. Wenn Sie an den richtigen High-Court-Richter geraten, könnten Sie es schaffen. Es gibt noch ein paar Gute unter ihnen.«
»Freunde von Ihnen?«
»Auch ich habe meine Methoden.«
Jenny stellte sich vor, wie einem kleinen Beamten in der Gerichtsverwaltung eine braune Papiertüte überreicht wurde, damit er dem Verfahren einen entsprechenden Richter zuwies. McAvoy würde das Verdienst in Anspruch nehmen und zweifellos eine Gegenleistung fordern. Worin die wohl bestehen würde?, fragte sich Jenny.
Sie wusste, dass sie das Gespräch beenden und den Kontakt zu ihm abbrechen sollte, und zwar so lange, bis die Untersuchung abgeschlossen war, aber sie fand keine Worte, um ihm abzusagen. Den warnenden Stimmen in ihrem Kopf zum Trotz erklärte sie sich einverstanden, sich um halb sechs in einem Weinlokal nahe dem Gericht mit ihm zu treffen.
»Ich verspreche Ihnen auch, mich zu benehmen«, sagte er.
Tariq Miah erwartete Jenny vor der juristischen Fakultät. Er führte sie um das Gebäude herum in einen angelegten Garten – jetzt, im frostigen Februar, war er noch nackt und kahl, aber immerhin war man hier vor neugierigen Blicken geschützt. Miah war Ende dreißig. In seinem schwarzen Haar und dem kurz geschnittenen Bart zeigten sich erste graue Strähnen. Den Gesichtszügen nach kam er aus dem Nahen Osten, seine Haut war dunkel, seine Augen schwarz. Jenny hatte sich auf der Website der Fakultät umgesehen und den Eindruck gewonnen, dass er die Karriereleiter nach und nach emporkletterte. Im Moment war er Spezialist für Verfassungsrecht und hatte in den späten Neunzigern ein Forschungsstipendium bekommen.
Als sie über die schmalen Kieswege schritten, erklärte sie ihm, dass sie irgendeinen Hinweis zu finden versuche, der Aufschluss darüber liefern könnte, womit oder mit wem Rafi Hassan und Nazim Jamal es damals zu tun bekommen hatten. Sie erwähnte Anwar Ali und den verschwundenen Mullah der Al-Rahma-Moschee, Sayeed Faruq, und fragte Miah, ob er die beiden gekannt habe.
»Nur ihren Ruf«, sagte er in der überdeutlichen Art, mit der akademische Juristen den Anforderungen des Alltags begegneten.
»Und was für einen Ruf hatten sie?«
»Angeblich wurden in der Moschee Leute für die Hizb ut-Tahrir angeworben. Kennen Sie die Organisation?«
»Ich habe ein bisschen darüber gelesen, bin aber immer noch nicht ganz schlau aus ihr geworden. Die Geheimdienste scheinen sie mit dem Terrorismus in Zusammenhang zu bringen. Die Organisation selbst bezeichnet
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