Totenstätte
er sich von seinen Ersparnissen gekauft. Allerdings habe er ihn weder angemeldet noch versichert, weil das alles kafir -Zeug sei, das sich für Muslime nicht gehöre.«
» Kafir sind Ungläubige, nicht wahr?«
»Ja. Ich fand das damals ziemlich cool, aber im Nachhinein kommt es mir irgendwie komisch vor. Er trug Bart und Gebetskappe, fuhr aber wie ein Besengter, weil ihn die Radarkameras ruhig blitzen konnten. Man konnte ihm ja keinen Strafbescheid zustellen.«
»Was hat sein Vater dazu gesagt?«
»Genau darum ging es in dem Streit.«
»Streit?«
»Davon habe ich nur von meinen Cousins gehört. Meinem Onkel gefiel sein Fahrstil nicht, und er nahm ihm die Schlüssel weg. Daraufhin hat ihn Rafi so heftig geschlagen, dass er ihm den Kiefer und drei Rippen brach. Seine älteren Brüder sind mit dem Wagen weggefahren und haben ihn angezündet. Das war’s dann mit Rafis Auto.«
13
A nna Rose Crosby galt offiziell als vermisst. Ihr Bild war auf Seite zwei der Bristol Evening Post abgedruckt, daneben ein Artikel darüber, dass die »brillante junge Atomwissenschaftlerin« seit knapp über vierzehn Tagen verschwunden sei. Ihre Mutter, so hieß es, habe auf der Treppe ihres exklusiven Hauses in Cheltenham bewegend an die Öffentlichkeit appelliert, verzweifelt und unter Tränen. Gegen ihren Willen fühlte sich Jenny von der finsteren Fantasie des Bildredakteurs angezogen: Das Farbfoto zeigte ein strahlendes blondes Mädchen, das perfekte Opfer für einen brutalen Sexualstraftäter.
Ein Papier flatterte auf ihren Schreibtisch. »Die Toyotas«, sagte Alison. »Dreiundvierzig waren in der Gegend registriert, für die Sie sich interessieren. Was wollen Sie jetzt damit anfangen?«
»Ich werde sie mir anschauen und diejenigen markieren, die Sie bitte für mich ausfindig machen sollen.«
»Die Polizei ist mit diesen armen Afrikanern im Kühltransporter nicht weitergekommen. Der Fall wird morgen wieder bei uns landen. Ich hab keine Ahnung, wie ich das bewältigen soll – all die Zeugen aus Nigeria oder wo auch immer sie herkommen.«
»Wir schaffen das schon. Haben Sie Madogs Aussage aufgenommen?«
Alison zog die Augenbrauen hoch.
»Könnten Sie das vielleicht heute noch machen?« Jenny zwang sich, ruhig zu bleiben.
»Ich werde es versuchen, aber falls Sie sich erinnern, habe ich heute noch einen Termin. Ich hatte Ihnen davon erzählt.«
»Hatten Sie das?«
»Letzte Woche. Eine Veranstaltung von der Kirche.«
»Aha.«
»Keine Sorge, ich werde um zwei zurück sein.«
Jenny hatte die Neugierde gepackt. Sobald Alison den Raum verlassen hatte, tippte sie das Stichwort »New Dawn Evangelical Church, Bristol« in die Suchmaschine ein. Der Link führte sie zu einer aufwändig gestalteten Website. In der Rubrik Neuigkeiten stieß sie auf den Hinweis: »Über vierhundert Menschen werden zur Eucharistie erwartet – ein neuer Rekord!« Die Kirche nahm in Anspruch, vom Heiligen Geist höchstselbst dazu berufen worden zu sein, unter den Einwohnern von Bristol Gottes Wort zu verbreiten. Pastor Matt Mitchell lächelte Jenny breit aus dem Bildschirm an und verkündete, dass die New Dawn Church dazu auserwählt sei, heilend tätig zu werden. So seien in den letzten Wochen einige Wunder geschehen: Ein Heroinsüchtiger sei clean geworden, eine Frau, die an multipler Sklerose gelitten habe, sei aus ihrem Rollstuhl aufgestanden, ein Kind mit Leukämie befinde sich auf dem Weg der Besserung, und ein schizophrener Jugendlicher sei vollkommen geheilt worden. Gottesdienste, in denen um Heilung gebetet würde, so hieß es auf der Website, fänden jeden Sonntagabend und Donnerstagnachmittag statt.
Auf Pastor Matt Mitchells aufmunternde Botschaft folgte ein Link zu einem Bereich, in dem Kirchenmitglieder ihre Bitten hinterlassen konnten. Jenny klickte sie an. Eine der Botschaften sprang ihr sofort ins Auge. »Bitte beten Sie fürmeine Tochter, die in eine ›Beziehung‹ mit einer Frau reingerutscht ist. Ihr Vater und ich lieben sie sehr.«
Plötzlich waren Alisons Schritte auf der anderen Seite der Tür zu hören. Hektisch hantierte Jenny mit der Maus herum, um die Seite zu schließen. Ihre Wangen waren knallrot, als ihre Assistentin in der Tür erschien.
»Rafi Hassans Tutor hat zurückgemailt«, sagte Alison. »Um eins könnte er sich mit Ihnen auf dem Campus treffen.«
Jenny zog ihren Mantel an und war schon auf dem Sprung zu der Verabredung, als das Telefon auf Alisons Schreibtisch klingelte. Sie drehte sich um und schaute auf das
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