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Totenstätte

Totenstätte

Titel: Totenstätte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. R. Hall
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schaute Alison erschrocken auf. Sie saß im Mantel am Schreibtisch, aus ihrem Gesicht war alle Farbe gewichen. Auf dem Anrufbeantworter flehte Mrs. Jamal pathetisch, dass irgendjemand den Hörer abnehmen möge, bitte . Sie habe Angst, sagte sie. In der Nacht habe erneut jemand bei ihr angerufen. Würde ihr denn niemand helfen? Dann schluchzte und schniefte sie wieder.
    »Ich dachte, sie wollte damit aufhören«, sagte Jenny.
    »Sie hat bereits drei Nachrichten dieser Art hinterlassen. Angeblich hat man sie beobachtet …«
    »Ich werde sie anrufen«, sagte Jenny und wollte in ihr Büro gehen.
    »Sie ist tot, Mrs. Cooper.«
    Jenny blieb mitten im Raum stehen. »Was?«
    »Ich habe sie zurückgerufen«, sagte Alison. »Gerade eben. Ein junger Polizist ist ans Telefon gegangen. Ein Nachbar hat sie im Vorgarten gefunden, ungefähr vor einer Viertelstunde. Sie ist vom Balkon gestürzt.«
    Benommen schaute Jenny auf ihre Uhr. Es war Viertel nach zwei. Vor eineinhalb Stunden hatte sie das Büro verlassen.
    »Wann hat sie das letzte Mal angerufen?«
    »Kurz nach eins«, sagte Alison. »Ich fühle mich schrecklich. Es gibt Dinge, auf die man nie vorbereitet ist …«
    Jenny sprach auf McAvoys Mailbox, dass sie sich nicht mit ihm treffen könne. Es sei etwas passiert – worum es sich handelte, sagte sie nicht. Als sie aufgelegt hatte, holte sie ihre Tabletten aus der Tasche, schüttelte eine aus dem Röhrchen und schluckte sie herunter. Unruhig kritzelte sie etwas auf einen Block, während sie darauf wartete, dass die rasenden Gedanken in ihrem Kopf zum Stillstand kamen. Die Schuldgefühle, weil sie Mrs. Jamals Anruf nicht beantwortet hatte, schlugen ihr auf den Magen. Ein irrationaler Teil von ihr machte McAvoy dafür verantwortlich, da er sie zur selben Zeit wie Mrs. Jamal hatte erreichen wollen. Hätte er nur eine Sekunde später ihre Nummer gewählt, dann hätte sie Mrs. Jamals Anruf entgegengenommen, und vielleicht … Aber darüber durfte man gar nicht nachdenken.

14
    D as quer über die Straße gespannte Absperrband der Polizei hatte eine Gruppe Schaulustiger angelockt, die nur zu gerne einen Blick auf die Leiche erhascht hätten. Jenny schob sich durch die Menge und sah, wie Kriminalinspektor Pironi aus dem Gebäude kam. Dies war sein Revier. Die Polizeiwache von New Bridewell lag weniger als eine halbe Meile entfernt. Sie erreichte ihn, als er auf dem Bürgersteig stand, sich die Latexhandschuhe auszog und die von einem Gummiband zusammengehaltenen Plastiktüten von seinen Schuhen streifte.
    »David.«
    »Jenny.« Er schien nicht erfreut, sie zu sehen. »Sie können jetzt nicht hinein, tut mir leid. Die Spurensicherung ist noch drin.«
    »Was ist passiert?«
    »Sieht aus, als wäre sie vom Balkon gestürzt.«
    Sie sah an dem Gebäude hoch. »Aber wie kann das passieren? Das Geländer geht mir bestimmt bis zur Hüfte.«
    Er knüllte die Plastiktüten und die Handschuhe zusammen und warf sie in den Rinnstein. »Ich denke, sie könnte gesprungen sein.«
    »Warum sollte sie das tun?«
    »Keine Ahnung. Wenn Sie wollen, können Sie einen Blick auf sie werfen. Sie ist noch da.« Er winkte einer Polizistin zu, die so aussah, als sollte sie noch zur Schule gehen. »Zeigihr bitte die Leiche. Sie ist der Coroner. Und geht nicht zu nah ran.« Mit einem Schlüsselanhänger zeigte er auf einen Mannschaftswagen, der in zweiter Reihe parkte. »Wir haben für heute Nachmittag eine Obduktion vor Ort angesetzt. Ich dachte, Sie würden schnelles Handeln begrüßen – wegen Ihrer Untersuchung und so. Wir hören uns dann sicher morgen früh.« Er lächelte flüchtig und verschwand.
    Jenny folgte der Polizistin. Sie stiegen über das Absperrband und überquerten ein feuchtes Stück Rasen neben dem Gebäude. Zwei uniformierte Polizisten standen Wache vor einem provisorischen Sichtschutz, einer schwarzen Plastikplane, die man zwischen zwei Stangen gespannt hatte. Die Polizistin erklärte, Jenny dürfe dahinterschauen, aber nicht hinter die Absperrung treten. Sie ging in Richtung Plane und redete sich ein, dass dort nur ein Körper lag, eine leere Hülle. Dann machte sie einen weiteren Schritt vorwärts.
    Die Leiche war nackt, die Beine schmutzig, ihr Körper verdreht. Sie war in der Mitte geknickt und kniete fast, ein ausgerenkter Arm klemmte unter dem Oberkörper, das Gesicht lag im Gras. Jenny war überrascht, wie wenig schockiert sie war.
    »Hat irgendjemand gesehen, wie es passiert ist?«
    »Bislang hat sich noch niemand gemeldet«,

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