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Totenstätte

Totenstätte

Titel: Totenstätte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. R. Hall
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Hirngespinsten gelitten hatte. Die eigene Erfahrung hatte Jenny schmerzlich gelehrt, wie leicht sich irrationale Gedanken festsetzen konnten, aber was, wenn Mrs. Jamal bei viel klarerem Verstand gewesen war, als es nach außen hin den Anschein gehabt hatte? Vielleicht hatte wirklich jemand sie beobachtet. Vielleicht hatte sie aber auch gelogen und die gesamte Zeit über wichtige Informationen zurückgehalten.
    Als Jenny den Krankenhausparkplatz zu ihrem Auto überquerte, war sie bereits entschlossen, der Polizei das Feld nicht zu überlassen. Sie stellte sich Pironis Männer vor, diese unfähigen Trampel, die nichts über Mrs. Jamals Geschichte oder ihre geistige Verfassung wussten. Was auch immer sie unternehmen würden, Jenny könnte es besser und schneller tun.
    Sie jagte den Motor hoch, damit die Heizung in Gang kam, und erledigte ein paar Telefonate. Ross teilte sie mit, sie würde später nach Hause kommen. Alison erwischte sie, als sie gerade das Büro verlassen wollte. Jenny bat sie, Mrs. Jamals Nachrichten abzutippen und der Polizei zukommen zu lassen. Schon geschehen, sagte Alison. Außerdem habesie soeben die Telefonauskunft angerufen, um Zachariah Jamal ausfindig zu machen. In seiner Zahnarztpraxis sei aber nur ein Anrufbeantworter angesprungen. Unter der Notfallnummer, die auf dem Band genannt wurde, habe sie eine Sprechstundenhilfe erwischt, die gerade alle Hände voll mit einem schreienden Baby zu tun gehabt hatte. Die Frau habe sich geweigert, Mr. Jamals Privatnummer herauszugeben, sich aber bereit erklärt, Nachricht und Kontaktdaten an ihn weiterzuleiten.
    Während sie auf seinen Rückruf wartete, hörte Jenny ihre eigenen Nachrichten ab. Zwei waren von Ärzten des Vale, die sich erkundigen wollten, ob die Totenscheine für ihre verstorbenen Patienten schon ausgestellt seien. Abgesehen von der Aussicht, verklagt zu werden, gab es für einen Arzt nichts Schlimmeres, als wenn seine fachliche Kompetenz zum Gegenstand einer öffentlichen Untersuchung wurde. Die dritte Nachricht stammte von McAvoy. Er klang bedauernd. »Schade, dass Sie es nicht zu unserem Treffen schaffen. Ich habe etwas für Sie. Falls Sie es sich noch anders überlegen, wissen Sie ja, wo Sie mich finden.« Jenny kämpfte mit der Versuchung, ihn zurückzurufen, als ein Piepsen ein Gespräch ankündigte.
    Zachariah Jamal klang, als würde er nicht von zu Hause aus anrufen. Im Hintergrund war Verkehrslärm zu hören, seine Stimme war aufgeregt und unsicher. Jenny fragte sich, ob er der neuen Mrs. Jamal und den Kindern überhaupt schon vom Tod seiner ersten Frau erzählt hatte. Betrunken, nackt und unter den Augen der Öffentlichkeit gestorben – sie würden es bald genug erfahren.
    »Was kann ich für Sie tun?«, fragte er. »In den letzten Jahren hatte ich nicht mehr viel Kontakt zu Amira.«
    »Es scheint, dass sie sich das Leben genommen hat«, sagte Jenny. »Würde Sie das überraschen?«
    Er seufzte. »Ich weiß nicht. Sie war eine schwierige Frau. Sehr emotional, aber …«
    Jenny ließ ihm Zeit, seine Gedanken in Worte zu fassen.
    »… auch sehr entschlossen. Ich hatte mich längst mit Nazims Tod abgefunden, aber sie wollte immer noch nicht aufgeben.«
    »Warum sagen Sie Tod ?«
    »Es ist doch klar, dass er gestorben ist. Vielleicht in Afghanistan. Ich kenne meinen Sohn. Wenn er leben würde, hätte er Kontakt zu uns aufgenommen.«
    »Aber Ihre Frau – Ihre Exfrau – wollte das nicht glauben?«
    Er schwieg. Sie konnte spüren, wie die unterdrückten Gefühle in ihm kämpften. »Nein. Sie wollte es nicht glauben.«
    »Möglicherweise hat die Untersuchung zum Verschwinden Ihres Sohns sie gezwungen, genau das zu akzeptieren.«
    »Ja …«
    »Wir hegen offenbar beide den gleichen Gedanken, Mr. Jamal. Vielleicht könnten Sie mir Ihre Version erzählen?«
    »Unser Kontakt war sehr oberflächlich. Ich weiß nicht, was sie gedacht hat.«
    Du möchtest nur nichts mit der Sache zu tun haben , dachte Jenny. Zu viele schmerzliche Erinnerungen, Schuld über Schuld. Schließ die Tür und schieb einen Riegel vor. Vergiss, dass sie und Nazim je existiert haben.
    » In den letzten beiden Wochen habe ich mich ein paarmal mit ihr getroffen«, sagte Jenny. »Sie war aufgebracht, vielleicht sogar ein bisschen hysterisch, aber nicht depressiv. Depressive Menschen ziehen sich in sich selbst zurück und schotten sich von ihrer Umwelt ab. Ihre Exfrau hingegen hat eine Untersuchung erzwungen. Sie war voller Tatendrang. Hätte sie nicht das Urteil hören

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