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Totenstätte

Totenstätte

Titel: Totenstätte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. R. Hall
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sagte die Polizistin. »Ein Nachbar hat eventuell einen Schrei gehört.«
    »Was ist mit ihren Kleidern passiert?«
    »Die liegen in einem Haufen im Wohnzimmer – neben einer Flasche Whisky.«
    »Whisky? Sie ist Muslimin.«
    »Der Mann, der sie gefunden hat, behauptet, sie habe danach gestunken.«
    Loyalität und erhebliche Schuldgefühle trieben Jenny in die Leichenhalle. Die nächsten Angehörigen – der Exmann undeine Schwester aus Leicester – waren bereits informiert worden. Beide hatten die Nachricht schweigend entgegengenommen und dem Beamten nur für die Mitteilung gedankt. Seinem Eindruck nach hatte Mrs. Jamals mutmaßlicher Selbstmord keinen von beiden schockiert.
    Jenny saß vor dem defekten Snackautomaten im leeren Empfangsbereich und wartete. Es war fast sechs Uhr abends, und mit einer Ausnahme waren alle Mitarbeiter nach Hause gegangen. Das einzige Geräusch, das zu hören war, war das Jaulen einer Spezialmotorsäge. Jenny konnte fast vor sich sehen, wie Dr. Kerr vorsichtig um Mrs. Jamals Schädel herumfuhr und auch an die v-förmige Kerbe am Hinterkopf dachte, die das ausgesägte Teil daran hindern sollte, nach dem Einsetzen wieder herauszurutschen.
    In den stillen dreißig Minuten, die nun folgten, musste Jenny daran denken, was auf der anderen Seite der Mauer geschah. Das Gehirn wurde aus dem Schädel gehoben und auf dem Stahltresen in Scheiben geschnitten. Eine kleine Probe wurde zu Analysezwecken präpariert, der Rest ohne große Umstände mit den anderen inneren Organen in den durchsichtigen Plastikbeutel getan, der wiederum in die Bauchhöhle gestopft wurde. Mit der Sektion von Lebern und Nieren und sogar von Herzen und Lungen konnte Jenny sich abfinden, aber die Sektion des Gehirns erschien ihr wie ein Sakrileg.
    Als Andy Kerr erschien, hatte er sich schon gründlich gewaschen, doch der Geruch von Seife überdeckte nur ansatzweise den von Desinfektionsmitteln, der sich nach einem Tag im Obduktionsraum tief in die Poren des Pathologen gefressen hatte.
    »Das Ergebnis entspricht ungefähr dem Polizeibericht«, sagte er schnell, weil er hoffte, endlich Schluss machen und nach Hause gehen zu können. »Ausgerenkte Schulter, Wirbelsäule gestaucht, gebrochene Rippen. Aber das hat nicht zum Tod geführt. Todesursache war ein Herzstillstand, verursacht wahrscheinlich vom Schock des Sturzes. Den Fotos vom Ort des Geschehens nach zu urteilen würde ich sagen, dass der Tod ziemlich schnell eingetreten sein muss. Sieht nicht so aus, als hätte sie sich noch bewegt.«
    »Was ist mit Alkohol?«
    »Das werden wir morgen früh erfahren. In ihrem Magen scheint sich aber eine große Menge von etwas zu befinden, das wie Whisky riecht.«
    »Können Sie sagen, ob sie regelmäßig getrunken hat?«, fragte Jenny.
    »Ihre Leber war absolut gesund. Keine Flecken. Ich habe Tests angefordert, die zeigen werden, ob der Alkoholkonsum ungewöhnlich war. Jeder, der regelmäßig Alkohol trinkt, produziert bestimmte Enzyme, um ihn zu verdauen.«
    »Was befand sich sonst noch in ihrem Magen? Hatte sie Tabletten geschluckt?«
    »Nein. Abgesehen vom Alkohol war er praktisch leer.«
    Jenny nickte. Ihr unbehagliches Gefühl, für Mrs. Jamals Tod verantwortlich zu sein, verstärkte sich. Wie viel hatte sie getrunken, nachdem Jenny ihren Anruf ignoriert hatte? Hätte sie irgendetwas sagen können, das Mrs. Jamal zurückgehalten hätte, oder hätte sie sie angefahren, sich doch bitte zu beruhigen, und damit ihr Ende nur noch beschleunigt?
    »Alles okay?«, fragte Andy. »Sie sehen …«
    »Ich habe sie gekannt. Ihr Sohn …«
    »Die Polizei hat mir die Geschichte erzählt. Tut mir leid. Aber ich muss Ihnen ja nicht sagen, wie viele Selbstmorde dieser Art wir hier zu sehen bekommen. Betrunken, nackt. Irgendetwas hat ihnen immer den Rest gegeben. Bei ihr vielleicht die Sache mit der Untersuchung.«
    »Sie hat acht Jahre lang dafür gekämpft.«
    Andy zuckte mit den Achseln. »Vielleicht war ihr Kampf das Einzige, was sie noch aufrechterhalten hat.«
    »Sie hätte aber doch in jedem Fall das Urteil abgewartet.«
    »Und was, wenn es das falsche gewesen wäre?«
    Die Regeln verpflichteten den Coroner dazu, sich zurückzuhalten, wenn die Polizei einen verdächtigen Todesfall untersuchte, doch Jenny war nicht in der Stimmung dazu. Einerseits waren die Gründe eigennütziger Natur – sie musste irgendetwas gegen ihre Schuldgefühle tun –, andererseits war da auch noch die nagende Angst, dass Mrs. Jamal möglicherweise doch nicht an

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