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Totenstätte

Totenstätte

Titel: Totenstätte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. R. Hall
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stiller. Über den Räumen Verstorbener lag eine Trägheit, als würde sich kein Lüftchen mehr regen. Man roch den Teppich und die Möbelbezüge, also eher die Umgebung als die Person, die in ihr gewohnt hatte. Jennys Augen glitten ein zweites Mal durch den Raum. Irgendetwas war anders.
    »Wurde hier etwas verändert?«, fragte sie.
    »Nur der Stuhl da.« Er zeigte auf einen Holzstuhl, der gestern noch vor dem Schreibtisch gestanden hatte. Jetzt befand er sich auf der gegenüberliegenden Raumseite, neben der Balkontür. »Er war dort, wo Sie jetzt stehen. Ihre Kleider lagen daneben, zusammen mit der Whiskyflasche.«
    »Der Deckel war zugeschraubt?«
    »Spielen Sie jetzt Miss fucking Marple?«
    Jenny überging den Kommentar. »Waren die Vorhänge offen? Was ist mit der Balkontür?«
    Pironi verdrehte die Augen. »Die Vorhänge waren geschlossen, und eine Lampe in der Ecke war an. Sie hat dort gesessen und getrunken, dann hat sie ihre Kleider ausgezogen und ist gesprungen.«
    »Es sind nur drei Stockwerke.«
    »Wenn einen der Verstand im Stich lässt, holt man nicht Bleilot und Maßband raus«, sagte Pironi. »Genug gesehen? Ich erwarte einen Anruf von meinem Sohn aus Helmand.«
    »Einen Moment noch.« Jenny ging zur Balkontür und versuchte sich vorzustellen, wie eine nackte Mrs. Jamal über das Geländer kletterte. Ein eleganter Abgang wäre das nicht. Sie drehte sich um und ließ noch einmal den Blick durchs Zimmer schweifen. Die Fotos von Nazim waren genauso angeordnet, wie sie es in Erinnerung hatte, ebenso der Zierrat in den Regalen: verspielte Porzellanfiguren und etliche glänzende Sport-Pokale.
    Als sie zur Tür zurückging, fiel es Jenny auf – auf den beiden Regalbrettern über dem Schreibtisch hatte sich am Tag zuvor noch ein halbes Dutzend graue Dokumentenkästen befunden. Jetzt lag auf dem oberen Brett ein Stapel Zeitschriften, auf dem unteren standen Taschenbücher.
    »Haben Sie Akten mitgenommen?«, fragte Jenny. »Als ich gestern hier war, waren die beiden Regalbretter voll davon. Der gesamte Papierkram, der mit ihrem Sohn zu tun hatte.«
    »Wir haben nichts mitgenommen.«
    »War sonst noch irgendjemand hier? Sie wissen schon, wen ich meine.«
    »Ich sage es Ihnen doch, da waren keine Akten.« Er kratzte sich am Kopf. »Keine Ahnung …Vielleicht hat sie das Zeug in den Müll geschmissen.«
    Pironi überließ es Jenny, mit dem Hausmeister zu sprechen. Mr. Aldis war ein gereizter alter Mann, dem es gar nicht passte, vom Fußballspiel, das gerade im Fernsehen lief, weggeholt zu werden. Die Mülltonnen standen in einem verschlossenen Unterstand vor dem Gebäude und waren seit fünf Tagen nicht mehr geleert worden. Mr. Aldis schwor, dass die Polizei bisher keinen Zutritt erbeten hatte. Jenny borgte sich Gummihandschuhe und verbrachte eine unerfreuliche halbe Stunde damit, Müll zu sichten. Von Akten keine Spur.
    »Warum haben Sie mir das nicht erzählt?«, fragte McAvoy. »Ein Bulle, der auch hier ist, hat mir die Sache gesteckt. Gütiger Gott. Tot.« Im Hintergrund klirrten Gläser. Es klang, als würde er den Abend auch ohne sie genießen.
    Die Handyhalterung in ihrem Auto war kaputt, daher hatte sie sich das Mobiltelefon unters Kinn geklemmt und betete, dass sie auf dem Heimweg nicht der Polizei begegnen würde.
    »Die Polizei denkt, sie sei gesprungen«, sagte Jenny.
    »Dann würde sie direkt zur Hölle durchmarschieren«, sagte McAvoy. »Wie meine Leute auch – kein Pardon. Selbstmörder werden im Feuer gebraten, ›was für Allah ein Leichtes ist‹, so der Koran. Ein Typ im Knast hat mir mal einen geliehen.«
    »Ihre Akten fehlen. Alle Papiere, die mit dem Fall zu tun haben.«
    »Die werden sich die Bullen schon geschnappt haben, keine Sorge.«
    »Nicht, wenn Pironi die Wahrheit sagt.«
    »Petrus hat den Herrn drei Mal verleugnet und ist trotzdem Bischof von Rom geworden.«
    »Er hat mir dabei in die Augen geschaut. Ich glaube ihm.«
    »Weil Sie eine naive Seele sind, Mrs. Cooper … Verdammte Scheiße, tot . Warum?«
    »Sie hat getrunken. Eine halbe Flasche Whisky.«
    »Arme Seele. Arme, unglückliche Seele.«
    Jenny hatte die Severn Bridge hinter sich gelassen und umfuhr nun Chepstow. Bald würde sie die Rennbahn passiert haben und in eine Talschlucht einbiegen. Dann würde es kein Netzsignal mehr geben.
    »Mein Handy hat gleich kein Netz mehr. Ich werde Sie auf den neuesten Stand bringen, sobald ich etwas höre.«
    »Ich durchschaue Sie, Jenny«, sagte McAvoy. »Sie wollen sich korrekt

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