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Totenstätte

Totenstätte

Titel: Totenstätte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. R. Hall
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Anwalt sah er nicht aus, überhaupt nicht wie jemand mit einem seriösen Beruf. Er trug T-Shirt, Leinenjackett und Turnschuhe. Das schulterlange Haar war gestylt, und die Jeans spannte etwas um die Hüften, die allmählich füllig wurden. Werbung oder Fernsehen, tippte Jenny. Die Lässigkeit der Branche war eine gute Sache, wenn man zwanzig war, wurde aber mit vierzig allmählich peinlich. Mr. Spencer – sie nahm an, dass er so hieß, denn er besaß nicht die Freundlichkeit, sich vorzustellen – führte sie in die Wohnküche. Sie war bewusst kühl gehalten: polierter Holzboden, weiße Möbel, ein einzelnes abstraktes Bild an der Wand.
    »Ich muss jetzt weg. Sie wird gleich da sein.«
    Er hängte sich eine Designertasche über die Schulter und verschwand, um sich seiner ungewissen Arbeit zu widmen.
    Sarah Levin kam herein, während sie mit einem Handtuch ihr blondes Haar trocknete. Sie war groß und schlank und auf eine so mühelose Weise attraktiv, dass Jenny sie nur als erhaben bezeichnen konnte. Spencer hatte außergewöhnliches Glück gehabt.
    »Hallo. Was kann ich für Sie tun?«, sagte sie zurückhaltend. »Sie sind Mrs. Cooper, nicht wahr?« Ihr Akzent hatte eine leicht amerikanische Färbung, obwohl sie definitiv aus England stammte.
    »Ja. Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie zu Hause störe«, sagte Jenny und merkte, dass Sarah Levins Auftreten sie kurzzeitig abgelenkt hatte. »Ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.«
    »Kürzlich hat jemand aus Ihrem Büro angerufen und mir mitgeteilt, dass die Anhörung vertagt wurde.«
    »Nur bis nächste Woche. Ich versuche ein paar Details über Nazims erstes Trimester in Bristol herauszufinden. Wenn ich richtig informiert bin, haben Sie mit ihm zusammen Physik studiert?«
    »Ja.« Sie legte das Handtuch auf den Küchentresen und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Es reichte ihr fast bis zur Hüfte.
    »Haben Sie manchmal miteinander geredet? Waren Sie befreundet?«
    »Nicht wirklich. Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«
    »Nein, danke. Aber lassen Sie sich nicht abhalten.«
    Sarah drückte auf einen Schalter an der Espressomaschine und holte aus einem Schrank mit Glastür eine elegante Tasse. Jenny sah ihr zu und spürte ihre Anspannung. Nicht wirklich . Was sollte das heißen?
    »Seine Mutter ist gestern gestorben«, sagte Jenny.
    »Oh.« Sarah drehte sich um, während sie eine Kaffeedose öffnete. »Das tut mir leid.«
    »Ich nehme an, Sie haben sie nie getroffen?«
    »Nein.«
    »Sie hat mir erzählt, dass sie den Verdacht hatte, Nazim könne sich gegen Ende des ersten Trimesters mit einem Mädchen angefreundet haben.«
    »Von so etwas habe ich nichts mitbekommen.«
    »Sie kannten sich also doch gut genug, dass Sie es gemerkt hätten?«
    »Nicht wirklich … Natürlich habe ich seither mehr über Nazim nachgedacht als damals.« Sie lehnte sich an den Küchentresen, während sie darauf wartete, dass sich das Wasser in der Espressomaschine erhitzte. Sie wirkte, als wäre ihr die Situation unbehaglich.
    »Haben Sie Nazim je auf seinem Mobiltelefon angerufen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nicht dass ich wüsste.«
    »Mrs. Jamal hat einmal einen Anruf auf seinem Handy entgegengenommen. Es war ein Mädchen, das sehr gut Englisch sprach. Sie wirkte ertappt, so als wüsste sie, dass Nazims Mutter ihren Kontakt zu Nazim nicht begrüßen würde. Haben Sie eine Vorstellung, wer das gewesen sein könnte?«
    »Hört sich an wie die Hälfte aller Mädchen in Bristol. Nein, tut mir leid.«
    »Wie viel hatten Sie mit ihm zu tun?«
    »Wir sind in dieselben Vorlesungen und Seminare gegangen. Bei ein paar praktischen Übungen haben wir zusammengearbeitet. Er war nur einer von vielen, kein spezieller Freund von mir … oder auch von irgendjemandem sonst. Soweit ich mich erinnere, wollte er sich bewusst von den anderen abheben.«
    »Wegen seines Glaubens?«
    »Die muslimischen Jungen hingen meistens zusammen rum. Das tun sie immer noch.« Sie drehte sich um und schaute nach dem Kaffee.
    »Nazim war also in Ihrem Jahrgang und hat sich durch seine religiösen Überzeugungen hervorgetan und außerdem von den anderen Studenten ferngehalten«, sagte Jenny. »Würden Sie es nicht merkwürdig finden, wenn er eine weiße Freundin gehabt hätte?«
    »Hat seine Mutter sie denn gesehen? Es gibt viele muslimische Frauen, die akzentfrei sprechen.« Sie drückte auf einen Knopf, und der Kaffee lief lautstark in die Tasse. »Ich habe ihn kaum gekannt. Aber Leute wie ich stürzen sich

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