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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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mit Fell zu beruhigen suchte, war Richard.
    »Tschuldigung«, hechelte ich. »Er ist mir abgehauen.«
    »Das haben wir uns schon gedacht«, lächelte Meisner.
    Tja, Cipión hatte wohl Sehnsucht nach Richard gehabt, dem von ihm heiß geliebten Alpha-Rüden der Dreierbande, die wir einst gewesen waren. Aber das sagte ich nicht. Und Meisner wusste entweder immer noch nichts über unser Zerwürfnis oder sie wollte es nicht ansprechen. Richard sagte selbstverständlich auch nichts. Er versuchte, mich nicht anzuschauen, aber gerade Augen unterwerfen sich selten unserem Willen. Natürlich trafen sich unsere Blicke. Wenn auch kurz. Vermutlich schaute ich bettelnd. Er wandte seinen Blick ab, und zwar mit einem Wimpernschlag der Gleichgültigkeit, der mich zusammenschnurzeln ließ. Leider war jetzt ganz und gar der falsche Zeitpunkt für ein Wort, den Stein zu erweichen.
    Stattdessen ging ich aufs Knie, zog Cipions Leine durchs Halsband, dem der Ring fehlte, und machte einen Knoten.
    Und schon raunte es durch die Gruppe: »Er kommt, das ist er!«
    Juri Katzenjacob war mit der rechten Hand an einen Uniformierten geschlossen. Ein zweiter ging auf seiner anderen Seite. Der Gruppe folgte der Verteidiger, über den ich nicht viel mehr wusste, als dass er den Fall erst kürzlich übernommen hatte und ein versierter Strafverteidiger für schwierige, weil von den Medien begleitete und emotionalisierte Fälle war. Er kam aus Hamburg, hieß Lothar Nöthen und war ein blonder Mensch mit roten Backen und schnarrender Stimme, der sich selbst supertoll fand. Ich hatte ihn einmal im Fernsehen schnarren hören.
    Juri Katzenjacob war größer, als ich gedacht hatte, warum auch immer. Ein breitschultriger junger Mann mit glattem Gesicht, kräftigem Kiefer, vollen Lippen, kurzem strohblondem Haar, grauen Augen. Er ging mit langen Schritten und schwankte dabei leicht hin und her. Er strahlte mehr Männlichkeit aus, als auf den Fotos zu erkennen gewesen war. Er strotzte gewissermaßen vor Männlichkeit. Das war einer vom Land, der sich nach der Kirmes mit den Burschen vom Nachbardorf um die Mädchen prügelte. Kein introvertiertes Opfer. Sein Blick war nicht nach innen gerichtet, sondern suchte uns, die Gaffer, die Schaulustigen, die ein Monster sehen wollten.
    Die Beamtinnen und Beamten vom Gericht, die eben noch vor mir gestanden hatten, waren etwas zurückgewichen. Plötzlich war Cipión die Vorhut, und er tat, was tapfere kleine Hunde tun, wenn Fremde auf sie zukommen und sie die Ihren hinter sich wissen: Er stellte die Rute steil und knurrte.
    Juris Blick fiel auf den Kurzbeinigen, der sich aufstruppte, stieg die Leine und meinen Arm empor und landete in meinen Augen. Vielleicht lächelte ich ihn sogar an. Auf jeden Fall tat ich mit meinem Gesicht das, was man tut, wenn man jemanden auf der Straße erkennt. Und er reagierte darauf, er konnte gar nicht anders. Sein Schritt stockte, der der Polizisten, die ihn führten, auch. Er hob die linke Hand, die nicht geschlossen war, formte mit den Fingern eine Pistole, zielte auf mich und feuerte. Seine Lippen formten für mich unhörbar das Wort »Peng«.
    Der Beamte an der anderen Seite riss ihn unwillkürlich etwas heftig zu einer Tür, durch die sie verschwanden. Das Letzte, was ich von Juri sah, war ein Lächeln auf seinem Gesicht, das Vergnügen über den blitzkurzen Moment einer unerwarteten Kommunikation mit der Welt außerhalb von Gefängnis und Gerichten, die ihm Spaß gemacht hatte. Und ich wusste, dass er wusste, dass dies für sehr lange Zeit die letzte Gelegenheit gewesen war, im Vorbeigehen jemandem zu begegnen und spielerisch Kontakt aufzunehmen.
    Gemurmel brandete auf. »Diese Augen!«, sagte jemand. »Unheimlich und kalt.«
    »Da fehlen einem die Worte!«, schimpfte Meisner entrüstet.
    »Er war’s!«, sagte ich.
    Sie schaute mich mit ihren warmen Augen an. »Soso.«
    »Er hat Rosenfeld getötet«, präzisierte ich. »Die Drosselmarke und die Nachzehrer-Inszenierung sind reine Ablenkung. Damit hat er die Spuren des eigentlichen Tötungsakts verdeckt. Wahrscheinlich hat er ihm mit irgendwas direkt ins Herz gestochen.«
    »Glauben Sie, auf diese Idee seien unsere Fachleute nicht auch schon gekommen?«, fragte Meisner. »Leider ist das Herz fehlend. Und leider wissen wir immer noch nicht, wie er den Raum wieder verlassen hat. Denn leider ist die Leiche von einer Journalistin gefunden worden, die leider immer wieder von sich reden gemacht hat, weil sie über Leichen stolpert und der

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