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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Wände.
    Der Schock ging so tief, dass kurzfristig Besinnung einkehrte.
    Der Stuttgarter Anzeiger veröffentlichte ein Interview mit Staatsanwalt Dr. Richard Weber.
    Erstmals und exklusiv äußerte er sich zu den Vorwürfen der Bestechlichkeit und Rechtsbeugung, für die sich eigentlich zu diesem Zeitpunkt schon niemand mehr interessierte. Und er machte sich nicht gerade sympathisch mit der arroganten Aussage, es sei nun einmal seine Aufgabe, Wirtschaftsstraftaten zu verfolgen, und wenn er einem Verdacht nicht nachgehe, weil es politisch opportun sei oder eine Kleinstadt gerade diesen Investor nicht verlieren wolle, dann könne man ihm mit Recht Korruption vorwerfen. Und was die Reise-Affäre betreffe, könne er nur sagen, die Journalisten des Bielefelder Abendblatts hätten schlecht recherchiert und seien an der Wahrheit nicht interessiert gewesen. Er habe seinem Vorgesetzen darlegen können und tue es hiermit auch in aller Öffentlichkeit, dass er dem Besitzer des Privatflugzeugs bereits auf dem Flughafen Edinburgh den einer Flugreise entsprechenden Betrag auf dessen Konto überwiesen und für die Weiterreise von Hamburg nach Stuttgart den Zug benutzt habe.
    Zum Schluss durfte er immerhin noch darauf hinweisen, dass die Idee, Juri Katzenjacob auf eine einsame Insel zu verbannen, mit dem deutschen Rechtssystem und dem ersten Artikel des Grundgesetzes, »Die Würde des Menschen ist unantastbar«, nicht vereinbar sei.
    »Aber irgendetwas muss man doch machen, um die Machenschaften dieses Menschen zu unterbinden«, ereiferte sich der Fragesteller.
    Richards Antwort: »Es gibt keine Machenschaften. Sie unterstellen mit diesem Begriff, dass Juri Katzenjacob über die Fähigkeiten verfügt, irgendetwas anzurichten. Das ist jedoch nicht der Fall. Er kann es zwar behaupten. Aber man muss es auch beweisen können.«
    »Aber das Gegenteil können Sie eben auch nicht beweisen. Was ist mit der Liste, die man in seiner Gefängniszelle auf einem iPad gefunden hat? Sie enthielt Angriffsziele, darunter das Riesenrad auf dem Prater und ein Flugzeug, das in Schottland notlanden musste.«
    Das hatten die von Ingmar Neuner, da war ich mir sicher.
    »Ich muss Sie korrigieren«, erwiderte Richard. »Auf dieser Liste steht kein Riesenrad. Und ich möchte hier an alle appellieren, insbesondere an die Medien, sich mit Mutmaßungen und falschen Bezügen zurückzuhalten. Die Ängste sind hausgemacht.«
    »Herr Weber, wir bedanken uns für das Gespräch.«
    3sat sendete an vier Abenden hintereinander eine vierteilige Dokumentation über Psi, die anfangs überraschende acht, später dreizehn Millionen Zuschauer anschauten. Man sah Nina Kulagina ihre Salzstreuer und Streichhölzer über das Tischtuch ziehen. Sie hielt die Hände darüber, aber sie berührte sie nicht. Man sah Menschen in den Edinburgh Vaults vor Angst schlottern und Finley McPierson die Physiologie des Spukempfindens erläutern. Ja, und ich sah endlich die Gesichter von Bélmez und Héctor Quicio, der erklärte, wie man sie mit Öl und Wasser herstellte.
    Richard wurde parallel dazu von einem Dutzend Radiosendern interviewt, wo er immer wieder dasselbe sagte: »Die Statistik zeigt uns, dass es in diesem Jahr bisher nicht mehr Unglücksfälle und Katastrophen gegeben hat als in anderen Jahren.« Und: »Bevor wir uns darüber Gedanken machen, wohin wir Juri Katzenjacob verbannen, müssen wir die ihm zur Last gelegten Taten auch beweisen.«
    Wenn man ihn fragte, ob es denn in Ordnung sei, dass der Staat für einen Strafgefangenen in Deutschland das Fünffache ausgebe wie für einen Schüler, antwortete er: »Sie gehen von falschen Zahlen aus. Ein Schulkind kostet den Staat laut Statistischem Bundesamt gut 10 000 Euro im Jahr. Und für einen Strafgegangenen wenden wir etwa 11 000 Euro auf. Da sehe ich keinen großen Unterschied. Und Sie müssen bedenken, dass man ein Schulkind ja nicht hinter Schutzmauern, Sicherheitstechnik und Schließanlagen verwahren muss.«
    Und schließlich wurde er zu Anne Will in die Sonntags-Talkshow nach dem Tatort eingeladen. Unter anderen Umständen hätte er mich mitgenommen. Unter den vorliegenden erfuhr ich von seinem Auftritt nur, weil Oma Scheible und Sally die Trailer im Fernsehen gesehen hatten und mich informierten. Wir schauten alle in meiner Stube.

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    Mit dabei waren der Europaabgeordnete Michael Strohberg mit schwarzer Armbinde, Kurt Bodnang, Chefredakteur vom Guten Tag , und die üblichen Verdächtigen, vom faltigen Unternehmer über den

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