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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Richard und schaute in den Rückspiegel. Sein Blick begegnete kurz meinem. »Die Burg gehörte Anfang des 14 . Jahrhunderts der Gräfin von Württemberg, Gemahlin von Eberhard dem Zweiten von Württemberg, genannt der Greiner. ›In schönen Sommertagen, wann lau die Lüfte wehn, die Wälder lustig grünen, die Gärten blühend stehn, da ritt aus Stuttgarts Toren ein Held von stolzer Art, Graf Eberhard der Greiner, der alte Rauschebart‹, heißt es in Uhlands Ballade vom Überfall auf den Grafen in Wildbad.«
    Finley lachte.
    »›Drum ihr dort außen in der Welt, die Nasen eingespannt! Auch manchen Mann, auch manchen Held, im Frieden gut und stark im Feld, gebar das Schwabenland!‹ So endet wiederum Schillers Ballade über den Tod von Eberhards Sohn auf dem Schlachtfeld. Eberhard bezwang die Reichsstädte und eroberte für Württemberg unter andrem Calw und Böblingen. Gräfin Elisabeth ist übrigens in der Stuttgarter Stiftskirche begraben.«
    »Und warum zum Teufel«, fragte ich, »sollte sie dann auf Burg Kalteneck spuken?«
    Richard zuckte mit den Achseln. »Was weiß ich? Vielleicht hat sie seinerzeit die Mordbuben auf ihren Mann gehetzt, der in Wildbad in der Quelle plantschte und nur mit Hilfe eines Hirten nackt in den Wald fliehen konnte. Womöglich hat sie ihren Sohn gegen den Vater aufgehetzt, der dann in der Schlacht bei Döffingen fiel – das ist fünfzehn Kilometer von Holzgerlingen entfernt. Es war die letzte große Schlacht zwischen dem Schwäbischen Städtebund und den Ritter- und Fürstenbünden.«
    »Ja«, schwärmte Finley, »im Spuk kommt all das zutage, was die Geschichte verschweigen will. Der Spuk bedrängt die nachfolgenden Generationen mit dem, was verarbeitet werden will: Mord und Macht, Reue und Rache, Verrat und Verschwörung. Im Spuk lebt mit uns, was es nicht geben soll, was wir verdrängen wollen: Gewalt, Blut, Angst, Obsessionen und Verfall.«
    Im Rückspiegel sah ich ein Lächeln in Richards Augenfalten. Er lenkte mit Ruhe seinen schweren dunklen Daimler durch die Fährnisse des Freitagnachmittagverkehrs. Derya saß duftend neben ihm, Finley, Cipión und ich hatten uns im Fond eingerichtet. Wir hatten die Staus am Albaufstieg und bei Merklingen bewältigt, auf der A7 Ulm umfahren und befanden uns bereits auf der A96 Richtung Lindau. Die sommerliche Herbstsonne brannte mir ins Ohr. Die Bäume hatten sich schon einen leichten Braunton eingefangen, junge Bussarde kreisten. Es war eine heitere Fahrt. Es schien alles abgefallen und erledigt, was bislang unter uns wüst gehakt hatte. Wir hatten uns auf dem Parkplatz vorm Bahnhof getroffen, wo Richard mit seinem Wagen wartete, und uns sofort zur vertrauten Gemeinschaft der fünf Freunde verschworen, überrascht und amüsiert, uns gegenseitig so herausgeputzt zu sehen.
    Von uns war Cipión der Einzige, der sich über sein Erscheinungsbild keine Gedanken gemacht hatte. Finley war seiner Vorstellung von einer Landpartie in guter Gesellschaft mit dunkelgrauen Hosen, einem hellgrauen Ellbow-Patch-Jackett mit Einstecktuch, einer blau-weiß gestreiften Krawatte und einem weißen Hemd begegnet. Dass Richard seine alltägliche Eleganz noch toppen konnte, hätte keiner vermutet, aber es war ihm mit einer Harmonie abgestufter Cognac- und Brauntöne gelungen, von den Socken bis zu den Manschettenknöpfen in der Farbe alten Messings. Derya war auf hohen Absätzen und schlanken Beinen dem S -Bahn-Treppenmund entstiegen. Sie trug einen schlichten schwarzen Rock, eine prallfarbige Seidenbluse und einen beigefarbenen Blazer, die zusammen eine stabile Basis bildeten für ihr orientalisches Gesicht. Ihren Goldschmuck hatte sie auf wenige schwere Stücke beschränkt. Vier Kulturen, denn ich trug Hardcore: Lederhose, Sparks, Crunch-Shirt, Nietengürtel und Weste, Diamant im Ohr und Sonnenbrille. Außerdem hatte ich mich in Weißblond umgefärbt, damit mich nicht jeder gleich erkannte, meine Haare rattenkurz schneiden lassen und die Narben komplett mit Make-up verdeckt.
    Gleich hinter Lindau begann der Stau durch Bregenz am silberblauen Bodenseeufer entlang. Es dauerte eine Stunde, bis wir an der kleinen Grenzstation zur Schweiz ankamen, wo man uns durchnickte. Wir rollten durchs Schwemmland des Altrheins. Der See war von Segeln gesprenkelt.
    »Vor allem wegen des Flugplatzes St. Gallen-Altenrhein«, erläuterte uns Richard, »ist man wohl bei diesem Veranstaltungsort geblieben.«
    Er lag zwischen Bodenseeufer und der Straße, auf der wir fuhren, und fiel

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