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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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dazu Chaostheorie gesagt. Es geht um Selbstorganisation.«
    »Ah, interessant. Spuk ist doch auch eine Art von Selbstorganisation, oder?«
    »Vielleicht können Sie mir das sagen. Ich habe gehört, Sie können die Lottozahlen beeinflussen.«
    Ich musste lachen. »Alles Lüge! Es erstaunt mich, dass Sie von mir gehört haben. Können Sie mir erklären, worum es hier geht? Warum diese bombastische Besetzung? Sarkozy habe ich schon gesehen. Obama soll hier sein. Was zum Teufel bewegt die, hier zu erscheinen?«
    Der Alte lächelte. »Sie haben Angst.«
    »Wovor denn?«
    »Vor der Macht des Irrationalen. Denen laufen ihre Völker aus dem Ruder. Unser System ist gekippt. In Amerika, Spanien oder Russland geht es nicht anders zu als in Deutschland. Die Leute glauben niemandem mehr. Der Einzelne glaubt nur noch sich selbst und seinen Sinneseindrücken. Und die, das erleben wir täglich, lassen sich leicht betrügen. Je mehr die Vernünftigen unter den Wissenschaftlern und Politikern die Existenz von Psi-Mächten bestreiten, desto mehr fühlen sich die Menschen belogen. Jeder hat schon mal unerklärliche Dinge erlebt, folglich lügt in seinen Augen, wer sie bestreitet. Die Medien haben so viele Lügen in Umlauf gebracht, dass niemand mehr über ein rationales Kriterium verfügt, zu entscheiden, was Wahrheit ist und was Lüge. Das ist der Untergang jeglicher Politik. Ein demokratisches System ist nicht mehr funktionsfähig, wenn es keine Instanz gibt, der man glauben kann, weil es kein Instrument mehr gibt, Glaubwürdigkeit herzustellen.«
    »Welches Instrument müsste das sein?«
    Der Physiker zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Der Journalismus hat seine Kreditwürdigkeit verspielt. Vermutlich will man die Medien zur Abkehr von ihrer Neigung zur Skandalisierung verpflichten. Ich denke, die Staatschefs denken insgeheim aber auch an die Möglichkeit, eine Person zu schaffen, der man wieder glaubt.«
    Ich grinste. »Und Obama möchte dieser Jesus sein.«
    »Die Gefahr besteht. Und ich sage Gefahr, weil ein solcher Heilsbringer uns zurückwerfen würde in vordemokratische Zeiten religiöser Gefolgschaft. Nun, wir werden sehen.« Damit entließ der Alte mich aus seinem gedankenhellen Blick. »Ein hübscher Hund. Wie heißt er denn?«
    »Cipión.«
    Ein sehr kleiner Mann rannte einen Weg weiter oben an uns vorbei. Er hatte ein Handy am Ohr und gestikulierte wild. »Maledetto! … Culona inchiavabile!« Das war Italienisch und ohne Zweifel ordinär.
    Vom See herauf kam eine Gruppe Herren, darunter ein salopp gekleideter Mann mit Brille und grauem Schnauzer: Ignacio Fernández Toxo, Generalsekretär der größten spanischen Gewerkschaft und seit Mai dieses Jahres Präsident des Europäischen Gewerkschaftsbunds. Er diskutierte mit Josef Ackermann, dem Chef der Deutschen Bank, und Kurt Bodnang, Chefredakteur des Guten Tags , der bei Richards Talkshow dabei gewesen war. Bodnang erkannte mich sofort als Dr. Webers Freundin, obgleich ich nicht dabei gewesen war, und stellte mich den andern vor. Sie schüttelten mir mit lächelnder Skepsis die Hand. Ignacio erklärte: »Es wird dringend Zeit, dass die Medien lernen, nicht auf die Emotionalisierung der werktätigen Massen zu zielen, sondern auf deren Aufklärung und politische Befähigung.«
    Ich stimmte ihm zu. »Übrigens«, wandte ich mich an Bodnang, »sollten Sie endlich Ihre Bluthunde zurückpfeifen.«
    »Die Presse hat die Pflicht zu …«
    »… zu lügen oder wie? Ich bin nämlich keine bekennende Lesbe! Wenn Sie schon über meine sexuelle Orientierung schreiben lassen, dann bitte richtig.«
    Er hob nur indigniert die Brauen.
    »Ich bin ein polyamanter Cyborg, Sie Pimmelblümchen!«
    Ich glaube, er war sich nicht sicher, ob er mich verstanden hatte. Vermutlich dachte er, ich spräche Isländisch und das klänge nur so ähnlich wie Deutsch.
    Ich hatte mich wieder mal verslapstickt, bat die Herren, mich zu entschuldigen, und flüchtete ins Hotel.
    Dort blieb ich in einer schwarzbetuchten Menge stecken. Alle starrten dahin, wo US -Präsident Obama Bundeskanzlerin Merkel die Hand schüttelte. Sie fasste ihm auf den Unterarm, er klopfte ihr auf die Schulter, sie legte die Hand an seine Flanke, er fasste sie am Ellbogen. Keiner der beiden konnte das gestische Dominanzgefecht für sich entscheiden, und so wandten sie sich hastig dem französischen Staatspräsidenten Sarkozy zu, der Merkel auf beide Wangen küsste und trotz seiner wirklich bemerkenswert geringen Größe

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