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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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die Krawatte zu binden. Er steckte selbst in einem dunklen Anzug. Seiner war im Gegensatz zu meinem maßgeschneidert und fiel einen Tick aus der Konvention, denn er war nicht blauschwarz wie meiner und vermutlich der aller anderen Herren, sondern besaß einen untergründigen, wenn auch kalten Braunton.
    »Du bist einfach der schönste Mann, den ich kenne, Richard.«
    »Einfach?«
    »Und ein granatenkomplizierter pietistischer Bescheidenheitssimulant. Bist du sicher, dass du so mit mir runtergehen willst? Oder soll ich doch lieber das kleine Schwarze anziehen?«
    Er hob die Brauen zu einem unausgesprochenen: Seit wann kümmert dich, was ich mir wünsche? »Nein«, sagte er nach einem Moment der Verblüffung mit glaubwürdigem Nachdruck. »Nein, Lisa. Es ist umgekehrt. Ich war eigentlich immer stolz darauf, dass eine so autonome Person wie du mich mitschleppt.«
    Schluck. »Eigentlich?«
    Er lächelte. »Ich gebe zu, so manches Mal habe ich mich schon gefragt, ob es auch etwas weniger schrill ginge. Aber aus reiner Bequemlichkeit. Ich weiß manchmal den Unterschied nicht zwischen Spielregeln, die uns einengen, und Regeln, die wir unbedingt brauchen. Gerade heute.«
    Darüber musste ich später mal nachdenken. »Richard, die erwarten alle was von mir«, sagte ich kleinmütig.
    »Ja, sicher, Lisa. Wundert dich das?«
    »Aber ich habe doch gar nichts gemacht!«
    »Du hast die Lottozahlen beeinflusst. Das macht ihnen Hoffnung, dass du mächtiger bist als Katzenjacob.«
    »Warum nur hast du bei der Talkshow von meinem kleinen Intermezzo mit dem Ziehungsgerät erzählt?«
    Er zog es vor, nicht zu antworten.
    »Glaubst du es denn auch, Richard?«
    Er rückte meinen Krawattenknoten gerade. »Katzenjacob ist ein Betrüger. Das Problem, das wir mit ihm haben, ist nicht real. Es ist das Ergebnis einer Mission, die Millionen von Gläubigen erzeugt hat. Diese Konferenz will den Kreuzzug der Medien zerschlagen.«
    »Darum ist der Chef des Guten Tags hier.«
    »Und die Vertreter anderer führender Medien in Europa.«
    »Nur Groschenkamp nicht.«
    »Er hat bereits verloren. Bodnang ist von ihm abgefallen, er hofft, der Abhörskandal geht an ihm vorüber, wenn er hier den braven Chefredakteur gibt, der das rein kommerziell orientierte Regime des Groschenkamp-Imperiums denunziert. Die Banken werden den Medien viel Geld bieten, damit sie nicht mehr mit Marktgesetzen argumentieren können.«
    »Das ist doch …« Mir fehlten die Worte. »Das ist doch Einflussnahme auf die … die …«
    »Wolltest du Pressefreiheit sagen?«
    Hatte ich eigentlich sagen wollen. »Aber das geht doch nicht, dass sich hier ein paar Herren gegenseitig Geld zuschieben und mal kurz an der Weltschraube drehen. Wo sind wir denn?«
    »Das ist die Wartegg-Konferenz, Lisa. Hier wird die Marschrichtung der Politik festgelegt. Wartegg ist die Freimaurerloge der Industriestaaten. 1988 hat die Konferenz die deutsche Wiedervereinigung beschlossen. Sonst hätten es die Ungarn nie gewagt, ein halbes Jahr später den eisernen Vorhang aufzumachen. Hier haben die USA den Westen auf den Krieg gegen Saddam Hussein eingeschworen. Hier bekamen die Banken den Freibrief, Kredite in die Volkswirtschaften zu pumpen, ohne später dafür haftbar gemacht zu werden, wenn die Immobilienblasen platzen.«
    »Und was ist unsere Rolle, Richard?«
    »Wir sind die Kasperle, die ihnen die heißen Kartoffeln aus dem Feuer holen.«
    »Warum sollten wir das tun?«
    »Weil es in unserem Interesse ist.« Er trat zurück und musterte mich in meiner Nerz’schen Pracht. »Und darum bist du gut so, wie du bist.«
    »Das klingt, als hättest du das alles geplant. Es ist mir unheimlich.«
    »Red keinen Unsinn, Lisa.«
    Nein, echt! Aber vielleicht machte er das wie ich mit der Lottomaschine. Da hatte ich auch nichts geplant und trotzdem so mitgespielt, dass sich was fügte.

62
    Es waren etwa fünfzig Leute, die sich zum festlichen Dîner einfanden. Ich entdeckte nur vier Frauen: IWF -Präsidentin Lagarde, Merkel, Derya und Carla Bruni. Meine Genderidentität war dagegen zweifelhaft. Und keineswegs kannten mich alle oder waren auch nur erfreut, mich zu sehen. Derya zog viel mehr Interesse auf sich. Sie trug ein Cocktailkleid in schweren Farben, die ihrem Figürchen Gewicht und Größe verliehen. In ihr Lächeln verguckten sich die Herren, in ihren dunklen Augen versanken sie. Ein jeder wurde zum Idioten, die einen unverhohlen, die anderen nur in ihrer Vorstellung.
    Richard raunte uns hin und wieder Namen

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