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Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)

Titel: Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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irgendwie sogleich der Potenteste war. Der britische Premierminister konnte ihm die Schau nicht stehlen. Merkel lächelte Grübchen wie ein kleines Mädchen, während die Herren Komplimente machten, war aber offensichtlich schlagfertig genug, die Männer zum Lachen zu bringen, wobei sie zurücktraten.
    Das gab dem russischen Präsidenten Medwedew den nötigen Raum für seinen Auftritt. Denn ein russischer Präsident kann nicht auftreten, ohne mindestens fünf Schritte zurückzulegen und dabei seine animalische Kraft zu zeigen. Der Bär Medwedew tat es mit derselben asymmetrischen Aktion – ein Arm schwang, der andere blieb starr – wie sein Mentor Putin, und mit dem verdruckten Gesicht eines Schulbubs. Da übersah man den EU -Kommissionspräsidenten fast.
    Joschka Fischer stand abseits an der Barocktreppe, streichelte seine Krawatte und amüsierte sich auf intellektuell hohem Niveau. Ich hatte mich mit Cipión hinter den Leuten entlanggeschlichen und wollte mich an ihm vorbeidrücken, aber sein Blick sprang mich an. So war es recht, schließlich stattete ich mich so martialisch aus, damit man mich nicht übersah. Gewöhnlich beschloss man dann allerdings, lieber keinen Kontakt mit mir aufzunehmen. Auch Joschka zögerte. Er war wie ich Asphaltkind, unterschichtig scheu. Aber er hatte sich als Student einmal auf der Flucht vor den Bullen umdrehen und zurückschlagen müssen, um zu begreifen, dass Angst vor Autorität kein Lebensplan war. Noch immer sprach er nicht gern Leute an, andererseits wusste er, dass er überzeugte, sobald er anfing zu reden.
    »Stopp!«, knarzte er. »Davonlaufen geht nicht mehr. Da musst du jetzt durch. Je eher, desto leichter wird es nachher.«
    Die Leute drehten sich um. Entweder man flüsterte Obama und Merkel meinen Namen zu oder sie hatten mein Bild bereits im Kopf, jedenfalls wandten sie sich uns zu, es öffneten sich die Reihen der Zuschauer, und Fischer schubste mich ins Foyer.
    Zuerst die Dame, schärfte ich mir ein. Alte Schlösser, alte Schule. »Guten Abend, Frau … äh … Dr. … äh … Kanzlerin …«
    Sie lächelte nachsichtig. »Wir sind auf Sie schon sehr gespannt, das darf ich sagen.« Sie schaute Obama an.
    »Good evening, Mr. President. How do you do?« Ich schaute ihm fest die Augen.
    »Fine, thank you.« Er schaute mir ebenso fest in die Augen, ergriff meine Hand und legte seine andere Hand auf meinen Unterarm.
    Mir stellten sich die Stacheln. Ich mag es nicht, wenn Männer ungefragt nachfassen. Der wie alle anderen setzte dreist darauf, dass frau vor Zuschauern keinen Fußfeger einsetzt, um den Griff zu lösen. Seine Bodyguards hätten mich vermutlich auch gleich erschossen.
    Obama war ziemlich groß und ein Alphatier, aber es schien ihn anzustrengen. Das Lächeln, zu dem sein Gesicht schnell bereit war, verdrückte er noch schneller in die Mundwinkel. »Nice to meet you, Ms. Nerz«, sagte er, wobei er meinen Namen wie Nörz aussprach. »Ich bin gespannt, was Sie uns erzählen werden.« Endlich ließ er meine Hand los. »Man sagt mir, Sie haben eine große mentale Kraft. Und wenn ich richtig informiert bin, sind Sie die Einzige, die dem Bösen bisher entgegentreten konnte.«
    Bezog er sich etwa auf unser Flugzeugabenteuer in Schottland? Von meinem Befehl an die Motoren hatte ich doch nur den Frauen im Verlag erzählt. War damals etwa der CIA schon dabei gewesen? Nein. Vermutlich war nur mein Computer mit meinen Audiofiles und Notizen inzwischen Allgemeingut.
    »Lassen Sie mich Ihnen sagen, Ms. Nörz: Ich habe großen Respekt vor Ihrer Kühnheit. Man hat mir erklärt, Sie lassen sich von Gespenstern keine Bange machen. Ganz so wie …« Er lächelte und sagte auf Deutsch: »Einer der auszog, das Furchten zu lörnen.«
    Fischer lachte in sich hinein.
    »This is a great German Märchen, by the Grimm Brothers . Ich habe es meinen Kindern oft vorgelesen. Deutschland hat furchtlose Literaten. Es ist wichtig, sich keine Furcht einjagen zu lassen.«
    »Niemand von uns fürchtet sich«, sagte Sarkozy.
    Obama ignorierte den Kleinen und legte mir wieder die Hand auf den Unterarm. »See you, Lisa.«
    Damit war ich entlassen. Ich schüttelte die Anhaftungen fremder Dominanz vom Ärmel und stieg hoch in mein Zimmer. Es war keine Zeit, die revolutionäre Faust zu ballen und die Internationale zu singen. Unser Gepäck war angekommen, ich musste mich umziehen. Meine Hände flatterten jedoch dermaßen, dass Richard mir helfen musste, die Manschettenknöpfe reinzupfriemeln und

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