Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
Interessenten finanziert, darunter QarQ, dessen damaliger Aufsichtsratsvorsitzender auch auf der Gästeliste stand. Und nun musste man den Geist wieder loswerden, den man gerufen hatte. Wenn er auch auf ganz andere Weise wirksam geworden war. Hatte man damals mit der narrativen Kraft der Medien gerechnet, den Globus mit einer Fiktion zu überziehen?
Richard stellte den Ordner zurück und blätterte in ein paar weiteren. Die Identität der Elfmänner ging aus keinem hervor. Unter den Gästen unten hatte Richard außer dem Generalsekretär Reto Federer kein Gesicht entdeckt, das er nicht der Gästeliste zuordnen konnte. Und im Internet hatte er rein gar nichts gefunden. Die Wartegg-Konferenz schien sich den Status von Vor-Internet-Zeiten erhalten zu haben, ein Büro, Papier und Safe. Den Safe entdeckte er hinter einer Reproduktion von Cézanne. Nach Richards Erfahrung hängte man niemals ein wertvolles Original vor einen Safe. Es waren immer entweder dilettantische Gemälde oder diese allseits bekannten Drucke in Bilderrahmen. Der Tresor war mit einer Tastatur gesichert. Richard überlegte. Das Wort Hendeka glitt durch die Neuronen. Acht plus drei. Er tippte 8311 .
Das Schloss knackte, die Tür sprang auf. In der viereckigen Höhle lagen Stapel großer Geldscheine in diversen Währungen auf einem braunen Umschlag. Richard zog den Umschlag unter den Millionen hervor. Er war nicht zugeklebt und enthielt ein Blatt mit elf Namen, darunter der von Reto Federer, mit Adressen, fünf davon in der Schweiz, vier in Deutschland und zwei in Großbritannien. Keinen davon kannte Richard. Er legte sie in seinem Gedächtnis ab für den Fall, dass es irgendwann einmal gut sein würde, sich an sie zu erinnern, tat den Bogen in den Umschlag zurück, schob ihn unter die Geldscheine, schloss den Safe und verließ das Büro.
*
Inzwischen war unten ein Imbiss ausgerufen worden. Ich stieß am Buffet mit Merkel zusammen. Wir griffen gleichzeitig nach derselben Gabel. »Nach Ihnen«, sagte ich höflichkeitsdeppert.
»Nein, bitte«, sagte sie.
»Nee, nee!« Dieses Oberhandgefecht gewinne ich. Aber elegant. »Wenn Sie mir auf die Finger schauen, dann landet das Felchenfilet garantiert im Obstsalat.«
Sie kicherte. »Was denken Sie, warum nie Fernsehkameras dabei sind, wenn wir ans Buffet gehen.« Sie musterte die Platten und legte die Hand auf den obersten Knopf ihres Blazers. »Man sollte ja eigentlich auch gar nichts essen nach achtzehn Uhr.«
»Wenn ich immer nur täte, was man sollte …«
Sie musterte mich von der Seite. »Haben Sie sich den Anzug eigentlich anfertigen lassen?«
»Nein. Aber ich weiß eine Adresse in Hamburg. Die kann ich Ihnen geben.«
»Lieber nicht. Der unfickbare Fettsteiß muss Blazer tragen, sonst bekommen wir eine Staatskrise, weil die Presse tagelang Brigitte spielt.«
»Ups!«
Sie kicherte vergnügt. »Sie können doch Italienisch.«
Ein Fehler im Dossier über mich, das man ihr offenbar vorgelegt hatte. Aber ich kam nicht dazu, ihn zu korrigieren.
»Culona inchiavabile … Ich habe es mir übersetzen lassen.« Sie schaute sich kurz um, beugte sich zu mir und wisperte: »Und wissen Sie was? Je ordinärer der Idiot, desto größer das Kompliment. Oder würden Sie sich von dieser italienischen Kindergeburtstagsgurke hmhmm lassen wollen?«
Wir lachten uns einen Arsch. Ich fand die Behauptung unseres Berliner Korrespondenten übertroffen, dass Merkel zwar öffentlich eine fürchterliche Phrasenschleuder war, aber abseits der Mikros eine Schwertgosch. Frau wird halt nicht Kanzlerin, wenn sie aufs Machogedöns der alltäglichen Büro- und Konferenzkommunikation nicht immer noch eins draufsetzen kann. Das fand durchaus meine Anerkennung, rein frauensolidarisch gesprochen.
»Und wissen Sie, was ich dabei am komischsten finde?«, raunte sie mir ins Ohr. »Dass den seine eigene Justiz abhört. Und dann gibt sie es auch noch an die Presse! Dagegen ist unser Groschenkamp-Abhörskandal die reinste Krabbelgruppe.« Sie wandte sich ab. »Ja?«
Von der anderen Seite hatte sich ein junger Mann genähert, der so jung gar nicht mehr war, diesen Eindruck aber durch seine dienernde Haltung erweckte. Er raunte ihr etwas ins Ohr. Sie schnaufte, entschuldigte sich bei mir und ging mit ihm beiseite. Ihre Miene versteinerte plötzlich.
Ich schaute mich nach Richard um. Er steckte gerade sein Telefon weg, orientierte sich und kam auf mich zu. Mit blankem Entsetzen im Gesicht.
»Was ist los?«
»Hier muss es irgendwo
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