Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
einen Fernseher geben.«
Die Idee hatten auch andere, die einen Stab besaßen, der sie beständig informierte. Minuten später hatten wir einen Seminarraum erobert, in dem ein Hotelangestellter den Fernseher anwarf und CNN anzappte. Stühle gab es nicht genügend, aber setzen wollte sich sowieso keiner.
»Hostage in Rumania – Geiselnahme in Rumänien«, raste auf dem Laufband unten vorbei, während eine blonde Moderatorin einen Korrespondenten in Bukarest befragte, der sich gleich nach dem Interview nach Sambata de Sus begeben würde.
Denn in diesem transsilvanischen Kloster hatte eine unbekannte Gruppe zahlreiche Geiseln genommen, Kinder, Anwohner und Touristen, deren Nationalität noch nicht bekannt war. Regelrecht im Ort zusammengetrieben hätten sie die Menschen und mit vorgehaltenen Maschinenpistolen ins Kloster gejagt. Dort hielten sie sich jetzt verschanzt. Die Aktion hatte dem Vernehmen nach bereits um die Mittagszeit begonnen. Es hatte aber ein paar Stunden gedauert, bis Sicherheitskräfte aufmarschiert waren und das Geschehen über örtliche Nachrichtenagenturen und Sender den Weg in die weltweiten Medien gefunden hatte.
Ich überlegte kurz, was die gemacht hätten, wenn in dieser gottverlassenen Gegend niemand angerückt wäre, wenn es niemand bemerkt oder zur Kenntnis genommen hätte. Erschießt man Geiseln, wenn keiner hinguckt?
Seit kurzem, erklärte uns der Korrespondent, sei nun die Forderung der Geiselnehmer bekannt. Sie laute: »Da die Staaten, insbesondere Deutschland, nicht imstande sind, den Strigoi zu vernichten, fordern wir die Herausgabe und Überstellung von Juri Katzenjacob an uns, um die Menschheit von dem Dämon zu befreien.«
»Was ist ein Strigoi?«, fragte die Moderatorin.
»Das ist der rumänische Begriff für einen Untoten, einen Vampir. In dieser Kultur ist die rituelle Vernichtung von Strigois noch sehr lebendig. Man verbrennt das Herz und gibt die Asche in Flüssigkeit aufgelöst verschiedenen Personen zu trinken.«
Die Moderatorin zeigte einen Anflug von Ekel. »Müssen wir also davon ausgehen, dass diese Gruppe Katzenjacob töten will?«
»Solange wir so wenig über die Leute wissen«, antwortete der Korrespondent, »ist über ihre wahren Absichten schwer etwas zu sagen. Dem ersten Anschein nach wollen sie den Tod Katzenjacobs erreichen. Aber es könnte sehr wohl auch sein, dass ihre Aktion den Zweck verschleiert, den Mann aus dem Gefängnis freizupressen. Katzenjacob stammt aus Rumänien und ist in Deutschland bei Adoptiveltern aufgewachsen. Und es hat schon einmal einen Befreiungsversuch gegeben. Auch damals kamen die Angreifer aus Rumänien.«
»Das ändert doch jetzt alles«, sagte jemand auf Französisch hinter mir.
»Geben wir den rumänischen Bastard raus, und fertig!«, rief ein anderer der versammelten dunklen Anzüge.
Die Staatschefs sagten zunächst nichts, sie ließen reden.
»Wenn wir die Wahl haben zwischen dem Leben von Kindern und dem eines Mörders, dann weiß ich, was ich zu tun habe.«
»Katzenjacob ist nicht des Mordes überführt«, sagte Richard, und es war schlagartig still. »Außerdem gibt es nicht den geringsten Beweis, dass er die ihm unterstellten telekinetischen Fähigkeiten hat.«
»Ja, das sagen Sie immer!«, rief Bodnang.
»Es ist darum nicht weniger richtig.«
»Aber die haben Kinder in ihrer Gewalt!«, rief Bruni, hochschwanger.
Richard drehte sich um und sagte sanfter, als er beabsichtigt hatte, und auf Französisch: »Würden Sie Ihren Sohn dem sicheren Tod ausliefern, Madame Bruni, weil eine Terrorgruppe andere Kinder in ihrer Gewalt hat?«
Sie presste die geschlossene Faust gegen die erregten Lippen und wandte sich ab.
»Aber Katzenjacob hat doch gar keine Verwandten mehr«, sagte jemand. »Seine Adoptiveltern sind tot. Das wissen wir doch. Ums Leben gekommen bei einem mysteriösen Unfall.«
Mir war eisig ums Genick. Menschen mit Macht und Millionen, mit Amts- und Adelstiteln waren offensichtlich mit demselben kranken Menschenverstand ausgestattet wie ein Stammtisch im Alten Krug.
»Vielleicht wollen sie ihn ja gar nicht töten«, mutmaßte einer. »Sie wollen ihn nur freipressen. Die Möglichkeit besteht doch.«
»Wir brauchen mehr Informationen, ehe wir entscheiden.«
»Wer kann so etwas überhaupt entscheiden?«, ächzte Finley leise halb hinter mir.
Derya hatte die Hände vor den Mund gelegt und schüttelte den Kopf. »Wir können nicht die Verantwortung übernehmen für das, was andere anrichten.«
Dann
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