Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
vernichtet den Zauber der Synergie.
»Übrigens hat er Oiger Groschenkamp beschuldigt, Rosenfeld mit einer Schere erstochen zu haben.« Das durfte ich Christoph durchaus erzählen.
»Eine reine Schutzbehauptung.«
»Aber die Schere fehlt seitdem.«
»Davon weiß ich nichts.«
»Es hat euch niemand gesagt, dass die große Schere fehlt. Aber ihr habt im Büro keine solche gefunden, stimmt’s? Und Groschenkamp war zur fraglichen Zeit definitiv in Stuttgart. Er ist auf dem Flughafen gelandet. Er hat einen Ludwigsburger Fahrdienst beauftragt, ihn nach Kalteneck zu fahren. Du hast für mich deshalb die Datenstation abgefragt. Jetzt könnt ihr bei denen offiziell mal nachfragen. Juri hat Groschenkamp mit der Schere ertappt. Und Groschenkamp hat ihn dann in Rosenfelds Zimmer eingeschlossen.«
Plötzlich fiel mir ein, was ich in Groschenkamps Büro gesehen, aber nicht verstanden hatte.
»Und vermutlich lässt es sich sogar beweisen, Christoph. Groschenkamp hat in seinem Schreibtisch eine Schublade voller Schlüssel. Anscheinend kann er Schlüssel nicht wegwerfen. Es sind Unmengen. Und wenigstens ein moderner Bohrmuldenschlüssel ist darunter. Ich habe ihn gesehen. Wenn Groschenkamp tatsächlich Rosenfelds Büro von außen abgeschlossen und den Schlüssel im Reflex abgezogen, eingesteckt und erst in Hamburg wiederentdeckt hat, dann hat er ihn in diese Schublade geworfen. Man bräuchte nur ein paar Beamte vorbeizuschicken …«
»Nur? Groschenkamp wird uns was husten! Oder sein Anwalt. Ohne Beschluss geht gar nichts. Und den unterschreibt uns kein Richter. Zumal wir in Stuttgart raus sind aus dem Fall.«
Eine halbe Stunde später war dann alles wieder ganz anders. Kaum hatte mich Christoph vorm Bioladen in der Neckarstraße abgesetzt und während ich noch nach meinem Haustürschlüssel kramte, rief Richard an und sagte: »Groschenkamp ist tot. Derya hat mich gerade angerufen.«
»Was? Gerade hat Juri Katzenjacob ihn beschuldigt …«
Und gleich befand ich mich wieder auf der Berg- und Tal-Autobahn nach Karlsruhe, diesmal in Richards Limousine. Das Autoradio lief leise und tickerte auf die Nachrichten zu.
»Nix Neues in der Geiselnahme?«
Er schüttelte den Kopf und stellte das Autoradio dennoch lauter. »Ich begreife es nicht. Die bedrohen Kinder mit dem Tod, nur weil sie einen töten wollen, den sie für den Tod anderer verantwortlich machen. Verstehst du das?«
»Es ist wie Krieg. Da gibt es auch gutes Töten und böses Töten. Je nachdem, auf welcher Seite man steht.«
»Aber man nimmt nicht die eigenen Leute als Geiseln.«
»Doch, Richard. Die Medien nennen das menschliche Schutzschilde.« Manchmal auch Schilder, aber das sagte ich nicht.
In den Nachrichten brachten sie an zweiter Stelle schon, dass der Hamburger Medienmogul Groschenkamp überraschend im Alter von 84 Jahren verstorben sei. Das habe die Tochter bestätigt.
Nach dem, was Derya Richard am Telefon gesagt und was er mir referiert hatte, war Oiger Groschenkamp nach dem Frühstück blau angelaufen und zusammengebrochen. Er hatte noch reanimiert werden können, erwachte aber nicht mehr aus dem Koma. Als Derya gegen Mittag in Hamburg eintraf, war er bereits verstorben. Er hatte schon seit längerem an einem Lungenemphysem gelitten. Das war, wie Richard wusste, eine irreversible Blähung von Lungenbläschen. Und es erklärte auch Groschenkamps Kurzatmigkeit. »Aber das ist wahrscheinlich nicht ursächlich für seinen Tod gewesen. Es sieht eher so aus, als sei der Herzschrittmacher stehen geblieben.«
»Und zwar etwa um die Zeit, als ich bei Juri Katzenjacob im Vernehmungsraum saß. Vielleicht ist doch was dran, Richard. Vielleicht gibt es diese Nachzehrer doch, und Juri ist so einer. Rosenfeld hat es vermutet. Hätte er Juris Begabung anerkennen wollen, hätte er ihn testen müssen. Um den Beweis zu erhalten, hätte er zusehen müssen, wie Menschen sterben, die Juri totdenkt. Das konnte er selbstverständlich nicht tun.«
»Unsinn!«
»Wissen wir es, Richard? Von Juri geht etwas aus. Wenn er einen anguckt, glaubt man plötzlich, dass es den bösen Blick gibt.«
»Doppelter Cheeseburger, Lisa. Käse!«
Ich musste lachen. Aber mir war nicht zum Lachen. »Ich weiß nicht, Richard, ich weiß nicht, ob ich das kann.« Ich korrigierte mich. »Ob ich es will. Es ist doch Betrug.«
Er schaute mich kurz an.
»Wieso stört dich das nicht, Richard? Mir kommt es vor, als würden wir Verblendeten Sand in die Augen streuen. Sie sehen eh schon nix, und
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