der Beweis fehlt. Menschen interpretieren das Verhalten von Tieren oft falsch.«
»Aber wir stammen doch von ihnen ab. Sie sind Biologie wie wir. Sie haben Angst. Cipión hat Angst!« Im Bereich banaler Sinneswahrnehmung konnten Viecher sowieso meist mehr als wir. Füchse spürten Erdmagnetwellen und waren erfolgreicher, wenn sie Richtung Norden auf die Beute sprangen, Delfine und Fledermäuse hatten Echolot. Käfer besaßen Infrarotsensoren, die über Kilometer einen Waldbrand ausmachten. Katzen reichte ein Photon auf der Netzhaut, um etwas zu sehen. »Er spürt etwas!«
»Was ist los?«, fragten Derya und Richard von hinten. Sie hatten aufgeschlossen und waren stehen geblieben.
»Da ist niemand!«, erklärte Finley energisch und machte einen Schritt an Cipión vorbei. Im nächsten Augenblick war er um die Hälfte kürzer.
Derya schrie auf.
Zum Glück hatte ich ihn am Arm gefasst, um ihn zurückzuhalten, sonst wäre er jetzt weg gewesen. Richard packte ihn am anderen Arm und half mir, den Professor wieder lang zu machen und auf die Beine zu stellen.
»Goodness!«, stöhnte er und rieb sich seine Kamelbeine. »What the hell is this?«
Unsere Lampen reichten nicht, um den Grund des Lochs zu erleuchten, das sich mitten im Gang auftat. Seine Ränder waren schmutzverklebt, die Wände geziegelt. Richard kickte mit seiner Schuhspitze ein Steinchen hinein und zählte: »Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig …« Dann der Plumps.
»Wie tief?«
»Man sollte nicht hineinfallen«, antwortete Richard. »Runden wir die Erdbeschleunigung auf zehn, dann haben wir zehn mal drei für drei Sekunden zum Quadrat, macht neunzig halbe, ist gleich 45 Meter.«
»Da!«, schrie Derya plötzlich.
Wir fuhren zusammen.
»Schaut doch!«
Sie hatte mit ihrer Lampe den roh zusammengenagelten Holzdeckel für den Brunnen gefunden. Er war in eine Seitengruft geschoben worden. Die Schleifspuren auf dem mit dünner Lehmkruste bedeckten Untergrund waren deutlich sichtbar, scharf und frisch. »Wer tut so was? Das ist doch lebensgefährlich!«
Mir klopfte das Herz. Wieder mal. Was geschah hier? Und Cipión hatte es gespürt und uns gewarnt. Was für ein Glück, dass er als junger Hund rund siebzig Meter in den Schacht einer Tiefenhöhle gerauscht war. Ihn erschreckte seitdem, was dunkel und rund war, nach unten ging und feucht roch. Vermutlich war er der einzige Dackel auf der Welt, der Höhlen hasste.
»Machen wir, dass wir hier rauskommen«, knurrte Richard. »Einer von uns richtet seine Lampe immer auf den Boden. Der andere nach vorn.«
»Sollten wir nicht …?«, fing ich an.
»Ja, stimmt.« Richard gab Derya seine Lampe. Ich reichte meine an Finley weiter. Der Deckel war richtig schwer. Aber zu zweit bekamen wir ihn über das Loch gehoben. Richard klopfte sich angewidert die Hände ab. Bevor mir klar war, dass auch meine von feuchtem Dreck klebten, hatte ich sie mir schon an den Jeans abgewischt.
Und weiter. Wir sprachen kaum. Finley humpelte. Ich hakte mich bei ihm ein und richtete meinen Lichtfleck auf den Boden. Cipión dackelte langsam voran. Endlich führten Treppen nach oben. Wir kamen wieder an einem Feuerlöscher vorbei.
»Ah, Luft!«, rief Derya.
Und Licht. Ein Dämmerschein kam um die Ecken. Wir gelangten in einen Raum mit dem üblichen Tonnengewölbe. Nur hatte dieses in einer Ecke ein Lichtloch. Wenn auch sonst keinen Ausgang.
»Glück gehabt«, erklärte Finley. »Hier steht kein Haus an der Außenmauer.«
Richard zog sein Handy. Ich meines. Wir hatten wieder Netz. »Und wen rufen wir jetzt an?«
Finley kratzte sich hinterm Ohr und rückte seine Brille zurecht.
Mein Handy erwachte. Aus den acht Mails von heute Morgen waren inzwischen 94 geworden. Ich öffnete hastig das Mailprogramm.
»Am besten, wir rufen die Feuerwehr«, schlug Finley vor.
»Können wir der beschreiben, wo wir sind?«, fragte Richard.
Finley blickte sich suchend um.
Ich war entsetzt. Lauter Twitter-Meldungen. Ein Twitter-Gewitter. Der Text lautete immer gleich: »Internet will break down caused by pure mental force of Shinobi. Earth will tremble, town will crumble.« Hilfe! Virus! Weg damit! Ich fing an zu löschen und verzweifelte an der Aussichtslosigkeit. Da fiel mir eine Nachricht ins Auge. Sie stammte von einem »
[email protected]« und lautete: »Klappe zu und aus!« Sie war um 19 Uhr 34 auf meinem Konto eingegangen. Egal jetzt mal, ob deutscher oder schottischer Zeit, die unserer um eine Stunde hinterhertickte. Wir