Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
Spiel, wie ich seit einigen Wochen bestimmt wusste. Denn ihm gehörte auch der SMV , der Süddeutsche Medienverbund, und damit mein Stuttgarter Anzeiger . Und meine Kollegen streikten jetzt seit einer Woche gegen eine drastische Kürzung ihrer Gehälter.
»Was weißt du über Groschenkamp als Medienmogul?«, fragte ich Richard, als wir bei Nieselregen in den George Square zurückwanderten.
»Groschenkamp – übrigens Jahrgang 1928 – hat 1949 in Ostberlin eine Widerstandszeitung gegen die sowjetischen Besatzer gegründet. Wurde verhaftet, floh in den Westen, machte ein Vermögen an der Börse. Er kaufte Mitte der Achtziger in den USA den ersten Fernsehsender und eroberte mit erzkonservativen Inhalten schnell große Marktanteile. Seitdem kauft er auch Sender und Zeitungen. Setzt auf populistische Inhalte: Angst vor Überfremdung, Europafeindlichkeit, Politikverdrossenheit, gegen Abtreibung, für die Todesstrafe, die Kategorie. In Deutschland gehören ihm acht Prozent der Medienunternehmen, darunter die auflagenstärksten Boulevard-Blätter. Er hat in Monaco eine Yacht im Wert von 33 Millionen Euro liegen. Er selbst ist äußerst medienscheu. Es gibt kaum Bilder von ihm.«
»Das habe ich auch festgestellt. Aber wenn er die Paparazzi-Medien kontrolliert … Und du hast nie gegen ihn ermittelt?«
Er warf mir einen kurzen Blick zu. »Nein.«
»Wagner sagt, das Bielefelder Abendblatt habe vor etlichen Jahren einem Minister eine Affäre mit einer Minderjährigen angedichtet. Eine private Überwachungsfirma namens Security Consulting & Detectives soll dabei E -Mails abgefangen haben.«
»Ich erinnere mich. Die Ermittlungen wurden eingestellt. Mit Groschenkamp hatte das allerdings nichts zu tun.«
Später saßen wir erschöpft in Finleys Büro. Er versuchte grummelnd, seinen Computer in Gang zu bringen und ins Internet zu kommen. Richard saß hauptsächlich schweigend im Clubsessel und kraulte Cipión, der sich auf seinem Schoß zusammengerollt hatte. Derya blätterte am Fenster in Büchern über Rosenkreuzer und das schottische Logenwesen. Ich saß auf einem Schemel in der Ecke und versuchte, die Augen offen zu halten.
»Wie es aussieht«, bemerkte Finley, »interessiert sich jemand für eure Reise. Vermutlich hat er auch unsere Computer lahmgelegt!« Er lachte.
»Ich habe nur meinem Freund Bescheid gesagt«, verteidigte sich Derya, »dass ich in Edinburgh bin. Das ist doch nur natürlich. Oder, Richard?«
So! Jetzt nannten sie sich schon beim Vornamen? Duzten sie sich auch?
Ich holte tief Luft. Aber Richard warf mir einen warnenden Blick zu. Er hatte mir vorhin mit dem Handy gehorcht, also gehorchte ich jetzt. Ich war auch plötzlich zu müde für das große Nerz’sche Theater.
»Ha!«, rief Finley. »Ich bin drin … nein, doch nicht.« Er sank in sich zusammen. »Mein Passwort stimmt nicht mehr!«
Richard stand auf, legte Cipión im Sessel ab und schaute Finley über die Schulter auf den Bildschirm. »Aber dann müsste es eine Meldung geben.«
»Was ist mit Héctor Quicio?«, fragte ich. »Hat der auch Zugang?«
»Das nehme ich stark an«, antwortete Finley. »Er hat die Experimente durchgeführt!«
Und er dürfte als Erster gestutzt und dann Rosenfeld informiert haben. Ja, so könnte es gelaufen sein. Rosenfeld hatte den Übersinnigen weiter getestet, womöglich ohne Héctor zu beteiligen. Es gab Streit. Ergebnis: Héctor war aus dem Institut in Alicante verschwunden.
»Haben Sie Kontakt zu ihm?«, fragte Richard.
»Er hat mir kurz vor Weihnachten letztes Jahr eine Mail geschickt«, sagte Finley. »Warten Sie. Ich schaue in meiner Mailablage nach. Hoffentlich funktioniert das wenigstens. Ah …«
»Ich hab’s!«, rief Derya plötzlich. »Schaut mal!«
»Ja, am 15 . Dezember«, sagte Finley gleichzeitig. »Héctor hat mir einen Aufsatz geschickt. Über die Gesichter von Bélmez. Er hat sich mit dem Direktor seines Instituts angelegt. Der hat öffentlich erklärt, die Gesichter seien aufgrund übersinnlicher Fähigkeiten zustande gekommen. In dem Aufsatz beschreibt Héctor, wie man diese Gesichter per Hand auf den Betonboden malt.«
Was für Gesichter? Hilfe, Chaos!
Auch Richard runzelte die Stirn.
»Müssen wir jetzt wissen, was es mit den Gesichtern von Bélmez auf sich hat?«, erkundigte ich mich.
»Nein«, Finley lachte, »das müssen Sie jetzt nicht wissen, wenn Sie es nicht wissen wollen. Aber es ist eine der schönsten Spukerscheinungen, die ich kenne, nicht so wüst und finster wie
Weitere Kostenlose Bücher