Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
fortzusetzen, aber die Lichtkreise unserer beiden LED -Lämpchen knallten ein paar Meter vor uns auf eine Wand, oder besser gesagt, auf eine Tür aus Eisen, die den Gang versperrte.
»Blimey!«, murmelte Finley.
Ich kramte in meinem Englisch: Himmelkreuzdonnerwetter? »Haben wir uns verlaufen?«
»Nein. Ich kenne die Vaults wie meine Westentasche!« Es klang hübsch altmodisch, wie er das sagte. Er fäustelte sinnlos gegen die Tür. Sie hatte weder Klinke noch Knauf, aber ein kleines Sicherheitsschloss. »Diese Tür war noch nie verschlossen. Es heißt, man könne sie gar nicht schließen.«
Ich spürte, wie es mir kalt von den Ohren über Hals und Rücken hinuntertropfte. In Zeitlupe. Dann war ich steif und konnte nur noch die Augäpfel bewegen.
»Haben Sie keinen Schlüssel?«, fragte Richard.
»Für diese Tür nicht.«
»Ist das der einzige Ausgang?«, fragte Derya mit kleiner Stimme.
Finley kratzte sich hinterm Ohr. »Es gibt noch einen Ausgang am Cow Gate. Zumindest gab es ihn einmal.«
Richard zog sein Handy, ich auch. Immerhin konnte ich mich wieder bewegen, wie ich bei der Gelegenheit feststellte. Kein Empfang. Ich klopfte meine Taschen nach dem Pickset ab, während mir einfiel, dass ich mein Mäppchen mit den Dietrichen und Spannern an der Sicherheitsschleuse auf dem Stuttgarter Flughafen verloren hatte.
»Weiter oben gibt es Empfang«, sagte Finley.
»Dann gehen wir mal Ihre Westentasche ab und suchen den Empfang!«, schlug ich vor.
Wir kehrten um, bogen ab und passierten finsterste Kojen, die woanders als Grabkammern durchgegangen wären. Eine Flasche rollte, von einem Fuß angestoßen, über Stein. Cipión schnüffelte den Boden ab und verstand nicht, warum wir hier herumstiegen.
»This way, please!«, sagte Finley und schickte uns eine Treppe hinunter.
»Wieso gehen wir hinunter?« Derya keuchte. »Die Luft! Hier ist überhaupt keine Luft!«
Richard stützte sie schon wieder am Ellbogen, schaute sich aber plötzlich selbst wie angepiekst nach rückwärts um. Auch er keuchte mehr als sonst. Ich war bereits völlig außer Atem.
»Hört ihr es auch?«, flüsterte Derya zu allem Überfluss. »Das Klopfen? Es kommt von dort auf uns zu.«
Mir pochte das Herz unterm Gaumen. In nächsten Moment goss mir jemand einen Eimer Wasser über den Kopf. Zumindest fühlte es sich so an. Ja, Himmelherrgottsack!
»Ich höre nichts«, sagte Richard. Aber auch seine Stimme war nicht mehr so fest. »Außer dem Blut in meinen Ohren.«
Ich lachte unkontrolliert heraus. Eine Uhr tickte unheimlich laut.
Cipión gab kein Zeichen, dass er etwas hörte. Aber er hechelte und gähnte hektisch.
Derya zuckte zusammen und machte einen Sprung zur Seite. Ihre Augen waren weit offen.
»Liebe Freunde«, sagte Finley und wandte sich uns zu wie ein Fels. »Don’t panic! Was Sie empfinden, sind ganz natürliche Ausschläge Ihres Organismus. Wir haben das Phänomen zwei Wochen lang mit 129 Personen untersucht. Wir haben die Leute für zehn Minuten allein in völliger Dunkelheit eingesperrt. Der Effekt ist immer der gleiche: Wenn die Außenreize fehlen – das Licht, Geräusche –, dann fangen unsere Nerven an, den geringsten Reiz zu verstärken und ans Hirn zu senden. Die Haut spürt einen Luftzug und meldet: Ich werde angefasst. Das Ohr verstärkt den eigenen Atem und meldet: Ich höre noch jemanden atmen. Die Augennerven funken und melden: Da ist ein heller Schein. Es bewegt sich was. Und schon ist der Geist da.«
»Vielleicht ist er ja da!«, sagte ich und fühlte mich gleich etwas besser, als ob die Verteidigung der Möglichkeit seiner Existenz mir das Wohlwollen des Geistes eingetragen hätte.
»Ich garantiere Ihnen«, beschwor uns Finley, »bei unseren Versuchen war nie einer da. Wir haben alles mit Thermoscannern, Magnetometern und Videokameras dokumentiert, so wie das die kommerziellen Geisterjäger machen. Wir haben weder das Atmen eines zweiten Wesens aufgezeichnet noch Astralstimmen oder Irrlichter. Unsere Infrarotkameras haben keine Veränderung der Raumtemperatur angezeigt. Wir haben nur einen Menschen gesehen, der zunehmend nervös wird und uns hinterher erzählt, er habe einen Geist gefühlt, gesehen und gehört. Die menschliche Einbildungskraft ist ungeheuer groß und mächtig. Und unser Hirn ist außerstande, das Objektive vom Subjektiven zu trennen. Das ist das Geheimnis des Spuks. Niemand ist gefeit. Nicht einmal der, der es weiß.«
»Sie auch nicht?«, fragte ich.
Finley lachte. »Nun, meistens
Weitere Kostenlose Bücher