Totensteige (Lisa Nerz) (German Edition)
machte einen Ausfallschritt gegen ihn, der ihn zurückfahren ließ. »Also gut!« Ich rüstete meine Fäuste. »Dann lass es uns austragen wie Männer!«
»Einmal reicht mir.«
»Oder bist du kein Mann? Ja, das wird es sein! Wie gut, dass wir gerade in Schottland sind. Hier darfst du einen Rock tragen! Derya wird dich sicher gern beraten. Sie liebt das Einkaufen.«
Das saß. Er sah nicht mehr unverletzlich aus.
Mir tat es sofort leid. So wie gestern mein Judowurf, der ihn vor Finley und Derya hatte zu Boden gehen lassen. Und nachher hatte er uns aus Seenot gerudert.
»Tschuldigung«, sagte ich. »Das war nicht fair.«
Sein Blick nahm meinen wieder auf. »Du hast wirklich jedes Recht, gekränkt zu sein. Es ist mein Fehler. Ich hätte es dir vorher erklären müssen.«
Ich musste schlucken. »Oha, immer korrekt, der Herr Rechtsliebhaber! Du, Lisa, pass auf: Ich werde mich morgen in Frau Dr. Barzani verlieben. Meinst du, das bringt’s?«
Ein Lächeln flüchtete in seine Mundwinkel. »Lisa, ich … ich bin nicht verliebt.«
In diesem Moment ging die Haustür auf und Derya erschien. Sie lächelte in die Sonne, streckte die Arme und rief: »Ah, was für ein herrlicher Morgen!« Dann schaute sie uns an. »Frühstück ist fertig.«
»Ja, gleich«, antwortete Richard.
»Gleich, Schatz!«, rief ich halblaut hinterher. Das konnte sie nicht gehört haben. Sie guckte trotzdem zwei Sekunden, schmunzelte amüsiert und durchaus siegessicher und ging ins Haus zurück.
»Na denn«, sagte ich und schickte mich an, ihr zu folgen.
»Moment.« Er sah gehetzt aus. »Hör mir zu: Derya ist die uneheliche Tochter von Oiger Groschenkamp …«
Das stoppte mich dann doch.
»… und einer Kurdin aus Hatay, die bei der Geburt verstorben ist. Ihre Tante und Großmutter haben in Derya die Wiedergeburt ihrer eigenen Mutter erkannt und sie als kleines Kind bis zu ihrem fünften Lebensjahr durch Presse und Fernsehen gezerrt. Bis Groschenkamp sie da rausholte. Sie ist in Internaten in Genf und Lausanne erzogen worden. Ihr Vater hat die Stiftung wohl ursprünglich gegründet, um den Machenschaften dieser selbsternannten Gurus und Seelenwanderungsspezialisten durch wissenschaftliche Forschungen den Garaus zu machen. Inzwischen fördert er die Parapsychologie um seiner Tochter willen. Sie hat die Seelenwanderung zum Gegenstand ihrer Forschung gemacht, um mit dem Trauma ihrer Kindheit fertig zu werden.«
»Was für ein Trauma denn?«
»Lisa, kannst du dir das nicht vorstellen? Man hat ihr als kleinem Kind die Identität ihrer Mutter aufgedrückt und ihr signalisiert, dass sie nur dann Aufmerksamkeit und Liebe bekommt, wenn sie die Rolle spielt.«
»Aha! Und was ist daran so interessant für dich?«
»Nichts, abgesehen von der menschlichen Dimension natürlich …« Er verfranste sich kurz und hustete. »Ich wollte sagen, ich bin eigentlich mehr an ihrem Vater interessiert. Als Staatsanwalt kann ich mich bei ihm nicht zu Besuch anmelden, weder offiziell noch inoffiziell. Und Leute, die er nicht kennt, empfängt er auch privat nicht. Er empfängt überhaupt niemanden.«
»Seit wann weißt du das?«
»Was? Dass Derya Groschenkamps Tochter ist?« Er zuckte mit den Achseln. »Seit einiger Zeit. Sie hat es mir aber gestern auch erzählt. Wir … wir waren nämlich auch nicht im Gottesdienst. Wir haben uns im Kreuzgang … unterhalten.«
»Und du willst mir jetzt verklickern, dass du dich an sie rangemacht hast, damit sie dich bei ihrem Vater einführt.«
»Sie hat sich eigentlich mehr an mich range… Nun ja, das entschuldigt es nicht.«
»Seit wann ist Betrug dein Mittel der Wahl? Und wie kommst du auf die Idee, dass ich da mitmache? Das verbietet mir schon die Solidarität unter uns Frauen.«
»Lisa, bitte. Es ist kein Spiel. Oiger Groschenkamp ist die zentrale Figur. Die Spinne im Netz. Er ist … gefährlich.«
»So dramatisch? Auch das ist doch sonst nicht deine Art. Kann es sein, dass dir die Hormone den Verstand vernebeln? Zufällig ist die Tochter eine wunderschöne Frau mit Augen wie die Wonnen der Nacht und Lippen wie die Genüsse des Tages, gebildet und mit Doktortitel geadelt.«
»Sie interessiert mich nicht, nicht so … wie du denkst.«
»Schade für dich. Denn ich fürchte, du wirst dich entscheiden müssen. Das ist der Moment, der auf jeden Mann zukommt, Richard. Uns beide kannst du dir nicht warm halten.«
Er hielt meinem Blick stand.
»Das ist auch Derya gegenüber nicht fair.«
»Ich bitte dich, sie ist
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