Totenstimmung
sagen kann: Mir geht es im Moment nicht so gut.«
»Das kommt also vor, dass auch Sie Hilfe brauchen?«
»Wollen Sie mir jetzt etwas anhängen?« Radermachers Augen wurden zu schmalen Schlitzen.
»Wie kommen Sie darauf? Haben Sie Grund, sich verteidigen zu müssen?« Ecki klappte sein Notizbuch zu und gleich wieder auf.
»Nein. Ich muss mich überhaupt nicht verteidigen. Hören Sie, Sie kommen hier einfach rein und stellen mir seltsame Fragen. Und Sie machen sich ständig Notizen. Da wird man sich wohl Gedanken machen dürfen.«
»Welche Gedanken machen Sie sich denn?« Frank beugte sich interessiert vor.
»Was wollen Sie von mir?« Radermacher setzte sich, stand aber gleich wieder auf, ging zum Fenster und kam dann zum Sessel zurück. Er steckte seine Hände erst in die Hosentaschen, verschränkte dann aber die Arme vor der Brust.
»Nun setzen Sie sich doch bitte wieder.«
Der Erzieher setzte sich und sah die beiden Ermittler feindselig an. »Also, was wollen Sie von mir?«
»Haben Sie vielleicht zu viel Stress gehabt in letzter Zeit? Haben die Behinderten Sie möglicherweise überfordert? Sind Sie vielleicht nicht mehr mit ihnen klargekommen, weil sie ihnen keinen Raum mehr zum Atmen gelassen haben? Die Arbeit mit Behinderten kann doch sehr anstrengend sein. Haben Sie keine Zeit mehr für sich gehabt? Ist Ihnen die berufliche Nähe zu den Ihnen anvertrauten Menschen zu viel geworden?«
Volker Radermacher lachte kurz auf. Es sollte verächtlich klingen, aber dafür schwang zu viel Verzweiflung in seiner Stimme mit. »Was wissen Sie schon? Sie haben doch gar keine Ahnung von der Arbeit mit diesen lieben Menschen.«
»Lieben Menschen?«
»Ja, liebe Menschen, diese Leute sind weit unverkrampfter und viel offener als wir, Herr Kommissar, die wir uns als ›normal‹ bezeichnen. Behinderte Menschen sind immer echt, nie falsch. Dazu fehlt ihnen das intellektuelle Vermögen, wenn Sie so wollen. Ja, diese Menschen mit speziellen Bedürfnissen sind im wahrsten Sinne des Wortes liebenswert. Liebenswerter, als Sie sich das vorstellen können.«
Ecki sah kurz zu Frank. Er konnte nicht erkennen, worauf sein Freund hinauswollte. »Sind Sie musikalisch?«
Der Sozialarbeiter sah Ecki verständnislos an. »Die Behinderten? Meine Leutchen lieben Musik. Sie gehen gerne in Konzerte. Aber das habe ich Ihnen ja auch schon gesagt.«
»Nein, Herr Radermacher, ich meine Sie. Sind Sie musikalisch? Spielen Sie ein Instrument?«
»Ich verstehe Ihre Frage nicht.« Volker Radermacher rutschte bis an die Sesselkante.
»Hören Sie nur Musik, oder machen Sie auch welche? Spielen Sie Gitarre?«
»Ein bisschen Gitarre. Ja. Aber das ist nicht der Rede wert. Das reicht gerade, um Weihnachten die Bewohner beim Singen zu begleiten. Sie lieben das.«
»Sie haben nie in einer Band gespielt?«
Radermacher zögerte. »Ich denke, ich soll Ihnen von meinem Beruf erzählen? Ja, ich habe einmal in einer Band gespielt. Aber das ist schon lange her. Sehr lange. Noch zu Schülerzeiten.«
»Welche Musik haben Sie gespielt?«
»Das Übliche: Rock, ein bisschen Blues. Damals waren in der Band auch Crosby, Stills, Nash & Young angesagt. Eigentlich war deren Zeit da schon vorbei. Aber unser Sänger stand auf das Zeug.«
Frank sah Radermacher prüfend an. »Spielen Sie auch Mundharmonika?«
»Ich?« Volker Radermacher war verblüfft.
»Spielen Sie?«
Der Erzieher lachte meckernd. »Ich spiele keine Harp. Das überlasse ich anderen.«
»Damals auch nicht? Zu Bandzeiten?«
Radermacher zögerte erneut. »Nein. Ich hab’s versucht, aber bald wieder drangegeben. War mir zu kompliziert.«
Frank wollte darauf antworten, verkniff es sich aber.
Stattdessen hakte Ecki ein. »Das verstehe ich. Ist das Ihre einzige Berührung mit Musik, ich meine, die Begleitung bei den Weihnachtsfeiern?«
»Mittlerweile höre ich lieber klassische Musik. In ihr finde ich all das Schöne, das mir wichtig ist.«
»Und zwar?« Frank ließ Radermacher nicht aus den Augen.
»Das Reine, das Klare. Diese Unschuld der Töne, die tief unter die Haut geht, bis in die Seele hinein. Diese Klänge hören zu dürfen, das ist Erholung und, bitte lachen Sie jetzt nicht, eine Form von Andacht. Alles ist ganz, alles ist so vollkommen.«
Frank räusperte sich. Der Typ hatte offensichtlich eine Schraube locker. »Und, äh, was hören Sie derzeit so?«
»Mischa Maisky und Pavel Gililov. Die CD Morgen, wirklich erhabene Kompositionen für Cello und Klavier von Strauss und
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