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Totenstimmung

Totenstimmung

Titel: Totenstimmung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Kuesters
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kannst nicht Fahrrad fahren.«
    »Gib mir meine Bilder zurück.«
    »Später.«
    »Ich will die Bilder.«
    »Zieh das doch mal an.«
    »Was ist das?«
    »Das macht dich stark.«
    »Will nicht stark sein. Will meine Blumen. Wann bekomme ich mein Eis?«
    »Sei brav, zieh das doch mal über.«
    »Das ist schwer. Mein Bauch tut weh. Die Drähte sind lustig.«
    »Ich weiß, mein Schatz.«
    »Ich will keine Drähte am Bauch.«
    »Nur einmal anziehen.«
    »Die Pakete tun mir weh.«
    »Das ist gleich vorbei.«
    »Die Drähte sind die Flügel der Schmetterlinge.«
    »Schmetterlinge, ja.«
    Er lächelte. Schmetterlinge. Ein schönes Bild.
    »Du kriegst gleich dein Eis. Versprochen.«
    »Schmetterlinge am Bauch.«
     
    —
     
    »Ich bin sicher, dass Sie da keinen Fehler machen.«
    Lisa sog den Geruch nach frisch lackiertem Holz, Bienenwachs und alten Büchern mit sichtlichem Vergnügen ein. »Und ich bin sicher, dass Sie mich nicht enttäuschen. Ich freue mich schon auf den Stuhl.«
    »Er wird wie neu sein. Wenn erst die Farbe runter ist und das Holz neu verleimt, sieht er schon ganz anders aus. Und wenn dann das Geflecht drauf ist, wird er ein echtes Schmuckstück.«
    »Flechten Sie selbst?« Lisa lächelte Hendrik Jennes an.
    Die Zufallsbekanntschaft in Sachen Möbelaufarbeitung hatte sich als äußerst angenehmer Gesprächspartner herausgestellt. Sie war mit geringen Erwartungen zu der kleinen Werkstatt nahe dem Jugendstil-Wasserturm gefahren, aber schon nach wenigen Minuten hatte Lisa sich in den bis in den letzten Winkel vollgestellten Verkaufsraum und die dahinter liegende Werkstatt verliebt. Das lag an den ungewohnten Gerüchen, aber auch an Jennes’ Art, mit der er die Fragen seiner Kundin beantwortete.
    »Nein, solche Arbeiten gebe ich weg. Das müssen Fachleute machen. Ich habe das am Anfang zwar selbst gemacht, bin aber bald an meine Grenzen gestoßen.«
    »Und solche Handwerker gibt es hier in Mönchengladbach?«
    Jennes lächelte leicht amüsiert, dabei griff er sich an sein linkes Ohrläppchen.
    Lisa meinte, so etwas wie jungenhafte Verlegenheit in dieser Geste zu entdecken. Sie machte Hendrik Jennes umso sympathischer.
    Der Trödler war ansonsten weder attraktiv noch hässlich. Sein Gesicht war ein Allerweltsgesicht, eines, das in der Menge nicht weiter auffiel. Vielleicht Anfang Fünfzig, helle Augen, lichtes Haar. Seine Statur war eher stämmig. Dafür saß sein Tweedsakko perfekt. Und Jennes hatte etwas an sich, das Lisa als angenehm empfand. Vielleicht war es die sanfte Stimme. Oder das Grübchen an seinem Kinn.
    »Wissen Sie, diese Leute sind wahre Könner. Sie können mit dem Thonetmaterial, diesem an sich dünnen Stuhlflechtrohr, umgehen wie niemand sonst. Wie dieses zarte Material unter ihren Händen zu einer unglaublich belastbaren Sitzfläche wird, sollten Sie einmal sehen.«
    »Sie schwärmen, als würden Sie von hoher Kunst sprechen.« Nun war Lisa ein wenig amüsiert. »Aber Sie haben mir noch nicht verraten, wo ich diese Arbeiten bewundern kann.«
    Der Antiquitätenhändler zupfte sich wieder am Ohr. »Hephata. In der Werkstatt sitzen die echten Künstler. Wenn Sie Zeit haben, gehen Sie mal hin. Sie werden begeistert sein.«
    Lisa lächelte. »Bei Gelegenheit.«
    »Sie brauchen nur kurz anzurufen, man ist sehr freundlich dort. Sie werden auf wunderbare Menschen treffen.«
    Lisa nickte und deutete auf ihren Stuhl. »Sagen Sie, wie alt schätzen Sie das gute Stück?«
    »Hm. Grob geschätzt Zwanzigerjahre.«
    »Und woran erkennen Sie das?«
    »Warten Sie.«
    Jennes verschwand in einem Nebenraum und kam mit einem Stuhl zurück, der keinen Sitz mehr hatte.
    »Sehen Sie, dieses Stück hat gedrechselte Beine, eine geschwungene und gedrechselte Lehne, typisch für die Gründerzeit. Ihr Stuhl ist dagegen schlicht, die angedeutete, leicht konische Form der Beine und die Verdickung an ihrem unteren Ende deuten die Epoche des Jugendstils an, die zum Zeitpunkt, als Ihr Stuhl gebaut wurde, aber längst vorbei war. Und sehen Sie die schlichte Lehne mit ihren drei Streben? Da ist von Gründerzeit oder Jugendstil nichts geblieben. Mir geht spontan ›Bauhaus‹ durch den Kopf. Aber dazu ist er dann wieder nicht schlicht und klar genug.«
    »Mir gefällt er, gerade weil er eben so schlicht ist.«
    »Ich finde es sehr schön, dass Sie ihn vor dem Schredder gerettet haben. Stühle sind etwas ganz Besonderes. Sie haben eine Seele. Jeder Stuhl könnte Geschichten erzählen. Nehmen Sie Ihren: Wer mag auf ihm gesessen

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