Totenstimmung
Dvorˇák.« Radermachers Augen leuchteten. »Maisky spielt ein Montagnana-Cello aus dem 18. Jahrhundert. Er ist ein unglaublicher Künstler mit einer schier unbändigen Spielfreude.«
»Sagt mir nichts.« Ecki zuckte mit den Schultern. »Erzählen Sie uns etwas über Ihr Verhältnis zu Frau Theissen.«
Das Gesicht des Erziehers verriet nicht, ob ihm die Frage unangenehm war.
»Habe ich Ihnen das nicht schon gesagt? Ich mochte sie, wie ich alle Bewohner unserer Einrichtung mag. Es war eine äußerst professionelle Beziehung zu Elvira. Ich habe versucht, ihr das Leben so zu erklären, dass sie es möglichst eigenständig führen kann. Das ist mir auch gelungen. Als ich sie übernommen habe, war sie ein scheuer, fast ängstlicher Mensch. Mit der Zeit wurde sie aufgeschlossener, hat sich immer mehr zugetraut. Sie hat gerne in der Werkstatt gearbeitet, war bei allen beliebt. Sie hatte sich zu einem sehr selbstständigen Menschen entwickelt. Und ich behaupte, dass ich einen gehörigen Anteil an dieser Entwicklung hatte. Ich habe mich intensiv um sie gekümmert. Wir haben viel unternommen, sie hat mich sogar, zusammen mit anderen Bewohnern, auch zu Hause besucht. Sie war ein glücklicher und zufriedener Mensch.« Radermacher sah Frank direkt an. »Und Sie können mir glauben, auch ich habe von dieser Arbeit mit ihr profitiert. Wenn man sieht, dass sich ein Mensch dank des eigenen Engagements so gut entwickelt, ist das ein sehr befriedigendes Gefühl, Herr Kommissar.«
»Das glaube ich Ihnen gerne.« Frank sah auf seine Uhr. »Ich glaube, dass Sie Ihr Meeting noch pünktlich erreichen.«
Nachdem die beiden Kommissare die Wohnung verlassen hatten, ging Volker Radermacher zum Fenster und sah ihnen nach, bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden waren. Seufzend drehte er sich um und nahm seine Umhängetasche vom Boden. Nachdem er sich den Riemen über die Schulter gelegt hatte, blieb er einen Augenblick unschlüssig im Wohnzimmer stehen. Mit beiden Händen rieb er sich mehrfach über das Gesicht. Er fühlte sich wie eingefroren.
»Und? Was denkst du?« Sie standen an der Ampel, und Ecki musterte eine schlanke junge Frau, die mit zwei Kindern an der Hand die Auslagen eines Geschäfts betrachtete.
»Radermacher ist nervös.«
»Ist das ein Wunder? Elvira ist tot.«
»Radermacher beschäftigt noch etwas anderes, etwas, das unmittelbar mit dem Mord zusammenhängt.«
»Du meinst, Elvira war nicht nur eine beliebige Bewohnerin seiner Wohngruppe?«
»Die beiden hat mehr verbunden.«
»Das hat er ja gesagt, dass sie ihm viel zu verdanken hat.«
»Das meine ich nicht.«
Ecki riss sich vom Anblick der Frau los. »Was meinst du dann?«
»Ich weiß nicht, ich habe nur so ein Gefühl.«
»Und ich habe Hunger.«
»Ich glaube, dass er uns etwas verschweigt, der ach so aufopfernde Betreuer.«
»Und ich werde das Gefühl nicht los, dass ich unbedingt in die nächste Bäckerei muss.«
Frank schüttelte den Kopf. »Mit dem stimmt irgendwas nicht.«
»Du meinst, er hat sie ›angefasst‹?«
»Ich weiß es nicht. Aber es wäre sicher nicht das erste Mal, dass so was passiert.«
Die beiden Ermittler hatten die Grünphase verpasst.
»Und deshalb bringt er sie um? Auf diese Weise?« Ecki sah einem Rentner nach, der ebenfalls an der Ampel gewartet hatte und nun kopfschüttelnd die Straße kreuzte.
»Um den Verdacht von sich abzulenken?«
»Dazu richtet er so eine Schweinerei an? Ein bisschen viel für einen einfachen Krankenpfleger, findest du nicht?«
»Kann doch sein?«
»Nein. Das glaube ich nicht. Wer einen Menschen auf diese Weise tötet, der muss richtig krank sein.«
»Auch Sozialarbeiter können zu Psychopathen werden. Wenn sie die Kontrolle verlieren. Oder wenn sie überfordert sind.«
Ecki schüttelte den Kopf. »Radermacher soll also der Mörder sein? Und wo hat er die Frau versteckt, die jetzt keine Finger mehr hat?«
»Ecki, ich weiß es doch auch nicht. Aber es ist immerhin eine Möglichkeit.« Frank sah einen deutlich übergewichtigen Jugendlichen herausfordernd an, der neben ihm stand und auf Grün wartete.
Der Dicke hatte ihnen offenbar zugehört und starrte Frank mit offenem Mund an. Als er Franks Blick bemerkte, rückte er seine Baseballkappe zurecht und steckte sich die kleinen Stöpsel eines Kopfhörers in die Ohren. Ohne auf Grün zu warten und auf den Verkehr zu achten, schlenderte er dann mit lässig wiegendem Schritt über die Straße.
»Eine ziemlich krude Theorie, findest du nicht?«
»Wir
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