Totenstimmung
haben wir auch schon gedacht, liebe Frau Gruyters.«
»Dann kann ich ja wieder gehen.« Die Sekretärin wollte schon aufstehen.
»Bitte, Sie haben das vielleicht missverstanden, Frau Gruyters. Ich habe nur gemeint, dass ich Ihre Theorie nachvollziehen kann. Wir sind dankbar für jeden, der mitdenkt. Die Sache ist ziemlich verfahren.«
»Ihre Fälle sind ja immer verfahren.«
Susanne Gruyters klang pikiert, aber sie blieb sitzen.
»Das ist wohl so, ja.« Frank machte eine ergebene Handbewegung. Wo Ecki nur blieb? Er würde den richtigen Ton finden.
»Ich werde das noch mal in der MK ansprechen.«
Susanne Gruyters nickte und nippte an dem Kaffee. »Scheußliches Zeug.«
Frank nickte. »Hält aber zumindest wach. Wie gehen Ihre Nachbarn denn heute mit der Wohngruppe um?«
»Die meisten haben sich an die Behinderten gewöhnt. Ich meine, unsere – ich sag jetzt mal ›unsere‹ – Behinderten fallen ja auch nicht weiter auf. Die meisten gehen in einer der Werkstätten in der Region arbeiten. Man sieht sie kaum auf der Straße, sie werden von Bussen abgeholt und gebracht. Nur ein paar sind öfter in der Stadt unterwegs.«
»Und wie gehen die Behinderten mit ihren Nachbarn um?«
Susanne Gruyters sah Frank erstaunt an. »Über diese Frage habe ich noch nicht nachgedacht. Ich denke, ganz«, sie zögerte, »ja, ganz normal. Sie lachen mich an, wenn sie mich sehen. Manche wollen mich auf der Straße in den Arm nehmen. Bei den ersten Malen musste ich schon die Luft anhalten, aber heute macht mir das nichts mehr aus. Im Gegenteil, im Sommer lade ich schon mal einige von ihnen zum Kaffee ein. Sie rufen schon Wochen vorher an: Susanne, wann können wir wieder kommen?« Susanne Gruyters musste lachen. »Sie sind so herzerfrischend.«
»Und genau das macht sie so verletzlich, wenn sie auf jemanden stoßen, der ihnen Böses will.«
Susanne Gruyters stand auf. »Bitte, finden Sie den Mörder der jungen Frau.«
Die Sekretärin drückte die beiden dünnen Akten, die sie bei sich hatte, fest an ihre Brust.
Frank war fast ein wenig gerührt.
»Wir werden den Fall klären.« Frank wusste keine andere Antwort.
Bevor Susanne Gruyters das Büro verließ, drehte sie sich noch einmal um.
»Und was den CD -Player betrifft: Sie wissen, dass Laumen recht hat, oder?«
Frank hob unsicher die Hände.
»Vorschriften sind dazu da, eingehalten zu werden. Das gilt auch und vor allem für das KK 11.«
Frank blickte ihr nach. Hatte er da ein winziges Lächeln um ihre Mundwinkel gesehen?
Ecki konnte er wohl für den Rest des Tages abschreiben. Dann würde er den Aktenberg eben alleine durchwühlen.
Frank angelte nach dem Bericht der Spurensicherung. Er hatte die Seiten schon x-mal durchgearbeitet, aber er war nirgendwo hängen geblieben. Die Spurenlage war völlig eindeutig.
Der Täter musste jemand sein, der sich mit Biologie auskannte. Es sei denn, er hatte nur aus bloßer Lust am Quälen die Raupen über Elvira Theissen ausgeschüttet.
Nein. Frank schüttelte unwillkürlich den Kopf. Es musste jemand sein, der einen gewissen Bildungsgrad hat. Frank dachte an die sauber abgetrennten Finger. Ein Mediziner möglicherweise, ein Akademiker. Jemand, der überlegt und planvoll vorgeht. Kein spontaner Täter. Es musste jemand sein, der ihm etwas mitteilen wollte. Dass er gemeint war, daran zweifelte er nicht mehr. Sonst hätten sie die Mundharmonikas nicht gefunden. Es war wie eine Art Spiel. Aber Frank kannte weder seinen Mitspieler noch die Spielregeln. Es gab einen Zusammenhang, aber er konnte ihn nicht sehen. Noch nicht.
Frank schreckte auf, als sein Handy klingelte. Das würde Ecki sein. Ohne auf das Display zu sehen, nahm er das Gespräch an.
Es war Jasmin Köllges.
»Was gibt’s?« Frank hatte wenig Lust, mit der jungen Kommissarin noch einmal das Thema Speditionen durchzukauen. Aber ihre Idee machte ihn hellhörig. Warum waren sie nicht schon längst darauf gekommen?
»Ich kann dir keinen offiziellen Auftrag geben, Jasmin. Du gehörst nicht zur MK , verstehst du? Aber du kannst dich in deiner Freizeit natürlich umsehen. Nur immer schön im Rahmen bleiben.«
Jasmin Köllges sagte ihm zu, keine Alleingänge zu starten. Als Berufsanfänger, der Karriere machen will, hätte er es nicht anders gemacht. Er konnte nur hoffen, dass Jasmin ihre Grenzen kannte. Er hatte schon genug Ärger. Da konnte er nicht auch noch Eskapaden von ehrgeizigen Nachwuchsbeamten gebrauchen.
»Wie weit seid ihr?« Frank sah Ecki an.
Ecki deutete auf
Weitere Kostenlose Bücher