Totenstimmung
können in den Wolken fliegen. Mama hat einen Schmetterling gemalt. Er ist schön. Aber er ist weggeflogen. Eine Mundharmonika kann Töne fliegen lassen. Töne sind auch Schmetterlinge. Sagt Horst. Der Gürtel ist so eng. Ich will Schmetterlinge fliegen lassen.
—
»Frau Kemmerling, warum haben Sie uns nicht gesagt, dass Sie ein Verhältnis mit Herrn Radermacher haben?« Ecki hatte sein ledernes Notizbuch aufgeschlagen.
Barbara Kemmerling hatte ihre Halskette in die Hand genommen und drehte aufgeregt die Perlen, Holzwürfel und bunten Glasstückchen hin und her. Sie sah Ecki an, sagte aber nichts.
»Frau Kemmerling, Sie verkennen die Situation. Sie sollten kooperieren. Wir gehen davon aus, dass Volker Radermacher auf der Flucht ist. Wenn das so ist, decken Sie einen Tatverdächtigen.« Frank sprach leise, aber bestimmt.
Die Vorsitzende des Vereins Schmetterling e. V. schien ihn nicht zu hören.
Ecki seufzte, aber sein Ton wurde schärfer. »Warum haben Sie uns nichts von Ihrem Verhältnis gesagt?«
»Ich habe kein Verhältnis, wie Sie es nennen.« Barbara Kemmerling stand abrupt auf, blieb aber stehen, als habe sie vergessen, wohin sie hatte gehen wollen.
»Sondern?«
»Volker und ich, wir lieben uns.«
»Warum haben Sie dann bei unserer ersten Begegnung so getan, als sei er nur einer Ihrer Angestellten?«
»Sie haben mich ja nicht danach gefragt.«
Frank schaltete sich ein. »Ich kann Ihnen nachfühlen, dass Sie Ihren Freund schützen wollen.«
Barbara Kemmerling setzte sich wieder und fuhr sich mit beiden Händen durch ihre rostroten Haare. »Was wissen Sie schon von unserer Liebe?«
»Dann erzählen Sie uns davon.«
»Warum sollte ich? Sie würden es sowieso nicht verstehen, Herr Borsch.«
Ecki ging das Gehabe der Frau auf die Nerven. »Wir können auch auf Ihre Angaben verzichten.«
Sie sah ihn unsicher an. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Wir haben einen interessanten Mailverkehr gefunden, fein säuberlich auf einer CD archiviert.«
»Ich verstehe nicht.«
»Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen gerne eine Kostprobe geben.« Ecki schlug einen dünnen Hefter auf. »Ich liege hier am Strand, der Wind streicht sanft über meine Haut und den dünnen Stoff meines Kleides, ich rieche das Salz des Meeres. Könntest du jetzt bei mir sein. Ich …«
»Hören Sie auf!« Barbara Kemmerling umklammerte die Lehnen ihres Bürostuhls. »Woher haben Sie das?«
»Wie gesagt: Wir haben eine CD gefunden.«
Sie schloss für einen Augenblick die Augen und presste ihre Lippen zusammen.
»Frau Kemmerling«, Franks Stimme war eindringlich, »es geht uns nicht um Ihre Gefühle für Volker Radermacher. Wir müssen ihn finden, weil wir Fragen an ihn haben.«
Ihre Stimme bebte. »Volker ist der liebste Mensch, den man sich vorstellen kann. Er hat niemanden umgebracht.«
»Wie lange kennen Sie ihn schon?«
»Seit einigen Jahren, warum?« Ihre Antwort kam stockend. Ihr Blick wanderte unruhig hin und her, glitt über die Bilder an der Wand und blieb an dem bunt lackierten Stuhl hängen. »Ich habe Volker eingestellt.«
»Seit wann sind Sie ein, äh, Paar?« Ecki sah von seinen Notizen auf.
»Seit einem Jahr.« Ihre verkrampfte Haltung löste sich.
»Wo ist er jetzt?«
»Das weiß ich nicht.« Sie klang verzweifelt. »Wie oft soll ich Ihnen das denn noch sagen?«
»Er muss Ihnen doch gesagt haben, wo er hinwill.«
»Nein. Ich frage mich selbst schon, wo er steckt. Er hat sich nicht mal verabschiedet. Er ist einfach nicht aufgetaucht, obwohl wir verabredet waren. Sein Handy ist ausgeschaltet. Ich mache mir große Sorgen, Herr Kommissar.« Sie sah Frank an.
»Kommt das vor, dass er einfach verschwindet?«
»Nein, es ist das erste Mal.«
»Sehen Sie, Frau Kemmerling«, Ecki legte seinen Stift beiseite, »Sie müssen doch zugeben, dass er sich damit verdächtig macht. Wenn er nichts zu verbergen hätte, würde er wohl nicht einfach so von der Bildfläche verschwinden.«
Barbara Kemmerling begann erneut, die Kette in ihrer Hand zu drehen. »Wir haben gestritten. Vor ein paar Tagen.«
»Was war der Grund?« Frank war davon überzeugt, dass Barbara Kemmerling ihnen eine Geschichte auftischen wollte, um sie abzulenken.
»Eigentlich war der Anlass nicht der Rede wert. Volker ist den ganzen Tag mit seinen Behinderten zusammen. Er arbeitet mehr mit ihnen, als er muss. Aber das habe ich ja mittlerweile verstanden, dass ihm das wichtig ist. Es ist nur, er nimmt sich überhaupt keine Zeit mehr für private Dinge.
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