Totenstimmung
Gastarbeiter gewesen, die vor langer Zeit nach Mönchengladbach gekommen waren. Irgendwann hatte er seinen anatolischen Traum wahr gemacht und den Kiosk in Eicken übernommen. Über die Jahre waren Cengiz’ Vater und Frank Freunde geworden. Wobei Cengiz’ Vater respektvoll Distanz zu dem Leiter der Mönchengladbacher Mordkommission hielt. Was seinen Sohn aber nicht davon abhielt, Frank gelegentlich um Rat und auch um Hilfe zu bitten.
»Wie gehen die Geschäfte, Commissario?« Cengiz strahlte über das ganze Gesicht.
Frank ahnte etwas. »Bist du wieder zu schnell gefahren?«
Cengiz hob seine gefalteten Hände. »Plötzlich war da so ein Blitz. Und kurz danach noch einer.«
»Die Starenkästen auf der Theodor-Heuss-Straße?«
Cengiz hob die Schultern. »Diese hellen Lichter. Darf man nachts auf der Straße einfach so fotografieren?«
»Cengiz! Gleich zweimal geblitzt werden!«
»Mein Vater darf nichts davon erfahren.«
»Und ich werde nicht mit meinen Kollegen reden.«
»Mein Vater bringt mich um, Commissario.«
»Spätestens dann bist du mein Fall.«
»Commissario«, schmollte Cengiz und zupfte an seinem gegelten Haar. »Gibt es keine Rettung?«
»Sei ehrlich und gesteh es deinem Vater. Das hilft und hält die Strafe gering.« Frank musste erneut lachen.
Cengiz breitete die Arme aus. »Papa wird mich rösten.«
»Wird schon nicht so schlimm werden. Die Kästen stehen ja nicht ohne Grund da. An der Stelle wird viel zu viel gerast. Du solltest dir die Unfallzahlen ansehen, dann würdest du ganz anders Auto fahren.«
Cengiz verzog das Gesicht, als hätte er in eine anatolische Zitrone gebissen.
Frank wollte Cengiz nicht länger hinhalten. »Ich rede mit deinem Vater. Aber das Bußgeld wirst du zahlen müssen.«
Die Miene des Kioskbesitzers hellte sich auf. »Moment, Commissario.« Er kramte in seinen Regalen.
»Ich habe alles, ich will nur meine Zeitung bezahlen.« Frank konnte sich schon denken, was jetzt kam.
»Eine Kleinigkeit für Lisa. Was Süßes. Moment.«
»Vergiss es. Du weißt, dass ich nichts annehme.«
Cengiz drehte sich um. »Schade.«
Frank zahlte die bluesnews und wollte gehen, als Cengiz ihn zurückhielt. »Ich habe doch noch etwas, Commissario.«
»Cengiz!«
Er hob die Hände. »Nein, nein, keine Bestechung. Ein Brief. Ich habe einen Brief. Der Brief lag vor ein paar Tagen mit der anderen Post unter meiner Tür. Einen Moment, Commissario.« Cengiz verschwand in dem winzigen Nebenraum, auf dessen Tür das Schild ›Büro‹ geklebt war.
»Hier.« Er hielt Frank einen weißen Umschlag hin.
»Für mich?« Der Brief war in der Tat an ihn adressiert. Allerdings fehlte die Marke.
»Als ich morgens vom Arzt zurückkam, lag die Post unter meiner Tür. Normalerweise bekomme ich ja nur Rechnungen.«
»Vom Arzt zurück?«
Cengiz verzog das Gesicht. »Ich hatte Zahnschmerzen und habe das Geschäft für eine Stunde schließen müssen. Warum sind die Schmerzen nicht erst am Abend gekommen? Dann hätte ich keinen Verdienstausfall gehabt.«
»Du weißt also nicht, wer den Brief abgegeben hat?«
»Commissario«, Cengiz lächelte überlegen, »der Postbote. Herr Bommels kommt jeden Tag. Er wird sich wohl ausnahmsweise mal vertan haben. Schließlich ist er ein deutscher Beamter.«
Frank wollte nicht weiter auf die Mentalität von Beamten eingehen. »Ich muss mich sputen. Ciao, Cengiz, und denk dran: in der Stadt immer schön fünfzig fahren.«
Noch im Gehen riss er den Umschlag auf.
Er erstarrte mitten in der Bewegung.
»9.11 Uhr. Schmetterlinge fliegen an einem Samstag.«
Rüdiger Bittner ärgerte sich über die Ignoranz seiner Kollegen. »Auch wenn ich mich wiederhole: Das ist Allerweltspapier, das ihr in jedem Drucker findet! Aber die Analysen laufen noch. Vielleicht gibt es doch noch Unterschiede in den Papierpartien, vielleicht können wir so rekonstruieren, wohin das Zeugs genau geliefert wurde, und die Region ein wenig einkreisen. Mehr aber auch nicht. Und wenn ich ›Region‹ sage, kann das den kompletten Niederrhein betreffen, wenn nicht sogar ganz NRW . Das Gleiche gilt übrigens auch für den Umschlag und die Tinte.«
»Wir haben dich schon verstanden, Kollege. Wie lange werden wir auf Ergebnisse warten müssen?«
Bittner hob die Schultern. »Das LKA arbeitet dran. Schwer zu sagen.«
Frank rieb sich die Schläfen. »Na, prima.«
Schrievers beugte sich vor. »Und das Papier wird überall benutzt, sagst du?«
Der Archivar war zufällig im Büro der beiden Ermittler.
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