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Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed

Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed

Titel: Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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Gesichter seiner Kollegen wiederzusehen, und jetzt war es so weit – das Leichenschauhaus stand noch, und er hatte sein Wort gehalten. Er war überglücklich. Auch das war sein vorbestimmtes Schicksal.
    »Herr Geung«, hatte der Doktor mit einem Blick auf seine Armbanduhr gesagt. »Sie kommen zu spät.«

21
    RÄCHER MIT SCHLOHWEISSEN HAAREN
    Als Leiter des laotischen Justizministeriums hätte sich Richter Haeng ohne Weiteres sieben Tage die Woche zu beschäftigen gewusst. Doch da er erstens über einen Beraterstab verfügte, der mit der Arbeitsweise des Ministeriums weitaus vertrauter war als er, und zweitens eine ausgeprägte Abneigung gegen neue Projekte hegte, gelang es ihm immer wieder, größere Lücken in seinen Terminplan zu sprengen. Diese füllte er mit Besuchen der familieneigenen Fischfarm, nachmittäglichen Stelldicheins mit schillernden Nachtclubsängerinnen und seiner Lieblingsbeschäftigung: die Schuhe von den Füßen schleudern und ein ausgiebiges Nickerchen halten. Wäre »Dauerdösen« eine sportliche Disziplin gewesen, hätte Haeng bei den Asienspielen darin mühelos die Goldmedaille errungen. Er hatte alles fest im Griff und sich obendrein als kompetenter Nachfolger jener korrupten royalistischen Halunken erwiesen, die er bei Dorfseminaren so oft gegeißelt hatte.
    Daher reagierte er besonders ungehalten, wenn das Politbüro ihn mit Aufgaben betraute, die ihn um seine dreistündigen Mittagspausen und seine freien »Sagen-Sie-einfach-ich-bin-bei-Gericht«-Nachmittage
brachten. Die Unterzeichnung des Vietnam-Vertrages hatte sein Leben in eine infernalische Abfolge von Konferenzen, Galadiners und endlosen Reden verwandelt, die er nicht selten selbst zu halten hatte. Die Juristendelegation aus Hanoi war besonders lästig gewesen. Die Kollegen hatten unbedingt einen Blick in das Innenleben des laotischen Rechtssystems werfen wollen. Leider mangelte es fraglichem Mechanismus nicht nur an Öl, sondern auch an einer ganzen Reihe unentbehrlicher Ersatzteile. Was er jedoch schwerlich zugeben konnte. Und so hatte sich Richter Haeng ein raffiniertes Täuschungsmanöver einfallen lassen.
    Um die Belegschaft der beiden Polizeireviere aufzustocken, denen die Vietnamesen einen Besuch abstatten wollten, hatte er Beamte aus den Randbezirken abberufen und im Zentralgericht eine getürkte Verhandlung inszeniert. Er ließ vier nagelneue Mikrofiche-Lesegeräte aus dem alten USAID-Komplex in die Kriminaltechnische Abteilung bringen. Da keine einzige laotische Verbrecherakte auf Microfiche vorlag und die Apparate ohnehin niemand bedienen konnte, kam es am Tag des Delegationsbesuches zu einem ebenso plötzlichen wie rätselhaften Stromausfall, sodass die Besucher abziehen mussten, ohne das System in Aktion gesehen zu haben. Der Richter war der Erschöpfung nahe und dankte dem Himmel, dass er die Vietnamesen in spätestens zwölf Stunden wieder los sein würde.
    Ein Mitglied der Gruppe – seines Zeichens Mediziner, genauer gesagt, Gerichtsmediziner – hatte seine Landsleute davon überzeugt, dass zu einer umfassenden Inspektion des Rechtssystems auch ein Besuch der Pathologie gehöre. Richter Haeng hatte dem nach Kräften widersprochen
– der Gestank, das viele Blut, die Hitze -, doch alle schienen die Einschätzung des nervtötenden kleinen Quacksalbers zu teilen. Haeng kam der Gedanke, dass womöglich jedes Land unter den Eskapaden eines aufsässigen Leichenbeschauers zu leiden hatte. Aber ihm blieb keine Wahl. Am Abend des letzten Besuchstages, nach einem Abschiedsbankett im alten Präsidentenpalast, ließ Haeng sich von seinem Fahrer zu Dr. Siri hinauschauffieren. Es war nicht nur sein erster Besuch in dem neuen Vorort hinter dem That-Luang-Schrein, sondern auch sein erstes Zusammentreffen mit Siri, seit dieser in den Nordosten aufgebrochen war und Haeng seinen schwachsinnigen Handlanger aus der Pathologie hatte entfernen lassen.
    Auf der Fahrt atmete er ein paar Mal tief durch und legte sich passende Antworten auf die zweifellos zu erwartenden Klagen und Beschwerden zurecht. Siri war zwar unverschämt, verfügte aber durchaus über gewisse Qualitäten. Zumindest in Xam Neua hatte er ordentliche Arbeit geleistet. Um ihn gnädig zu stimmen, beschloss Haeng, ihn dafür zunächst über Gebühr zu loben und ihm im Namen der Partei für seine erfolgreichen Bemühungen zu danken. Keinesfalls jedoch würde er sich von Siri wegen des verschollenen Idioten auf der Nase herumtanzen lassen. Er war schließlich der Leiter des

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