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Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed

Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed

Titel: Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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wie dumm man eigentlich ist«, sagte Dtui.
    »Sie sind ganz und gar nicht dumm, Schwester«, versicherte Singsai. Er war ein kleiner Mann mit einer Haut von derart dunklem Braun, dass seine Stimme aus einem strahlend weißen Gebiss zu kommen schien, das schwerelos in der Dunkelheit schwebte. Er erinnerte Dtui an die Mumie im Haus des Präsidenten.
    »Na schön, vielleicht nicht dumm, aber doch … unbedarft.«
    »Sie haben heute viel Gutes getan.«
    »Dafür hatte ich in vielen anderen Fällen keinen Schimmer, was ich tun sollte. Es ist frustrierend. Jetzt erst wird mir klar, was Leute wie mein Chef und Dr. Santiago leisten. Tagaus, tagein, Jahr um Jahr retten sie Menschenleben, als wäre es das Natürlichste von der Welt.«
    »Eines Tages bin ich hoffentlich auch Chirurg«, sagte Singsai und richtete den Blick gen Himmel, als könne der ihm diesen Wunsch erfüllen. Er war Mitte fünfzig und hatte keinerlei Beziehungen, darum standen seine Chancen nicht besonders gut.
    Dtui wechselte eilig das Thema. »Behandeln Sie hier eigentlich nur Notfälle?«
    »Nein, wir haben auch ein oder zwei Malariapatienten«, sagte er. »Und einen kleinen Jungen mit chronischem Durchfall. Die bei Weitem gefährlichste Kinderkrankheit in ganz Südostasien. Die meisten sterben daran, aber der Kleine hält sich wacker. Er hat großes Glück gehabt. Ach, und dann ist da noch Frau Duaning.«

    »Und was fehlt ihr?«
    »Das wüssten wir auch gern. Sie liegt seit zwei Wochen im Koma. Wir haben sie auf der Straße gefunden.«
    »Und sie wird von niemandem vermisst?«
    »Nein.«
    »Woher wissen Sie dann, wie sie heißt?«
    »Wissen wir ja gar nicht, aber sie ist ohne Zweifel eine Hmong. Also hat einer unserer Hmong-Pfleger sie ›Duaning‹ getauft. Was so viel wie ›wunderlich‹ bedeutet.«
    Sie statteten Frau Wunderlich einen Besuch ab. Sie lag in einem kleineren, separaten Raum, wo die nicht lebensbedrohlichen Fälle untergebracht waren. Sie lag auf dem Rücken, starrte mit weit aufgerissenen Augen an die Decke und murmelte irgendetwas vor sich hin.
    »Was redet sie denn da?«, fragte Dtui.
    »Sie spricht erst seit vorgestern. Sie sagt immer wieder dasselbe.«
    Dtui beugte sich über sie und horchte. Die Stimme der alten Frau klang nicht halb so rau, wie man es bei einem siechen alten Weib hätte vermuten können. Ihr Atem roch modrig. »Panoy muss essen«, sagte sie. »Panoy muss essen.«
    »Könnte es nicht sein, dass sie Panoy heißt?«
    »Die Alte? Nein. Das wäre ein sehr untypischer Name für eine Hmong.« Als er ihr die dünne Decke unters Kinn zog, kamen ihre Füße darunter zum Vorschein. »Heiliger …«
    Die Fußsohlen der Frau waren mit einer verkrusteten kastanienbraunen Masse überzogen. »Ist sie draußen herumgelaufen?«
    »Nein. Soviel ich weiß, hat sie sich nicht vom Fleck gerührt. Und das sieht mir auch nicht nach Erde aus.«

    Dtui kratzte mit dem Fingernagel an einer Sohle. Sie wusste sofort, womit sie es zu tun hatte. »Das ist geronnenes Blut.«
    »Und woher …? Hat sie irgendwelche Verletzungen?«
    Dtui nahm ein feuchtes Tuch aus der Waschschüssel neben dem Bett und rieb vorsichtig an einem Fuß. »Nein.«
    »Aber wie …?«
    »Das sieht ganz nach einem Muster aus, Singsai. Schauen Sie sich den anderen Fuß an. Als hätte ihr jemand Symbole auf die Sohlen gemalt.«
    »Mit Blut? Und wozu?«
    »Vielleicht kann Ihr Hmong-Pfleger uns weiterhelfen.«
    »Wir werden sehen. Ich möchte ihn jetzt nicht wecken, aber morgen früh werde ich ihm mal ein wenig auf den Zahn fühlen. Ich bin gespannt, ob er eine Erklärung dafür hat.«
    »Ich auch«, sagte Dtui. »Ich auch.«
    Wegen zwei weiterer Notfälle kam Dtui erst gegen sieben Uhr morgens ins Bett. Die leichte Brise, die durch die dünnen Baumwollvorhänge ins Zimmer wehte, weckte sie um zehn. Auf ihrem Weg in den Hauptkrankensaal schaute sie rasch bei Frau Wunderlich vorbei. Die lag zwar noch immer auf dem Rücken, sang jetzt jedoch ein anderes Lied.
    »Panoy ist schwach. Panoy ist schwach«, sagte sie.
    »Wer ist Panoy?«, fragte Dtui.
    »Panoy ist schwach.«
    Dtui strich der Frau das weiße Haar aus dem Gesicht und legte die Hand auf ihre kalte Stirn. Ihre Haut wirkte stumpf, wie mit einer feinen Staubschicht überzogen. Ihr Puls war schwach. Dtui fragte sich, ob die Alte den heutigen Tag wohl überleben würde. Bevor sie aus dem Zimmer
ging, hob sie die Decke, um sich die Füße der Frau noch einmal anzusehen. Die linke Sohle, die sie in den frühen Morgenstunden

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