Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
hätte. Der Lichtkegel war auf die Duschkabinen gerichtet.
Das tropfende Wasserrinnsal hinter ihm verwandelte sich nach und nach in einen Strahl, als hätte jemand eine Dusche aufgedreht. Er ließ seinen Sarong sinken und drehte sich um. Das Wasser unter seinen Füßen war drastisch gestiegen. Aus der Dusche gegenüber ergoss sich ein unfassbarer Wasserschwall – erheblich mehr, als durch ein Bleirohr passte. Siri hatte gelernt, seine Angst in solchen Momenten zu überwinden. Es war seine Dämmerstunde, die Zeit kurz vor Sonnenaufgang, an der Grenze zwischen Schlafen und Wachen. Eine Zeit des Sehens und des Lernens. Es gab keinen Grund zur Panik.
Das Wasser stürzte von der Decke der Duschkabine wie ein Gebirgswasserfall. Es reichte ihm inzwischen bis zu den Knien. Es hatte keine Temperatur, keine Substanz. Etwa zwei Meter entfernt konnte er einen undeutlichen Umriss unter der Oberfläche ausmachen. Er nahm seine Taschenlampe und leuchtete damit ins Wasser. Es war Isandro. Er lag auf den Badezimmerfliesen ausgestreckt wie ein Leichnam, der für die Bestattung vorbereitet wird, die riesigen Hände über der Brust gefaltet wie zum Gebet. Er sah ruhig und friedvoll aus – erfüllt.
Plötzlich riss ein lautes Hämmern an der Tür Siri aus dem Schlaf. Es war ein wütendes Hämmern. Seine Tür hatte kein Schloss, deshalb hatte er einen Stuhl unter die Klinke geklemmt, was ihm das Zimmermädchen, das zehn Mal täglich ohne anzuklopfen hereinplatzte, offensichtlich übel nahm.
»Wer ist da?«, flötete er, obwohl er die Antwort bereits kannte.
»Ihr Frühstück«, blaffte sie, »steht auf dem Tisch. Wenn Sie nicht in fünf Minuten unten sind, ist es kalt.«
»Sie sind ein Engel in Sackleinen«, rief er durch die geschlossene Tür. »Die Partei wird es Ihnen danken, dass Sie mich bei Kräften halten.«
Da er aus Erfahrung wusste, dass sein Frühstück ohnehin kalt sein würde, ganz gleich, ob er fünf oder fünfzig Minuten brauchte, nahm er sich für seine morgendlichen Verrichtungen reichlich Zeit. Dann ging er hinunter, stocherte lustlos in seinen lauwarmen Nudeln und machte sich Gedanken über das Rätsel der vergangenen Nacht. Eine Stunde später saß er noch immer vor seiner zweiten Tasse Seeschlamm und sann über die Vision nach, die ihm im Waschraum zuteilgeworden war. Wenn Isandro friedlich gestorben war, warum fand Odons Geist dann keine Ruhe? Was spielte das Wasser für eine Rolle? War er ertrunken? Warum konnten Siris Geisterkollegen die Anworten nicht einfach an eine Tafel schreiben? Warum musste alles so kryptisch sein?
»Guten Morgen, Doc.«
Siri blickte auf. Zu seinem Erstaunen stand Dtui in der Tür des Speisesaals. Ihr ehemals weißer Schwesternkittel sah aus, als habe sie ihn einem abstrakten Maler aus dem Ostblock als Leinwand zur Verfügung gestellt. Sie hatte die kleine Panoy auf dem Arm, die trotz ihrer Schienen und Verbände einen recht fidelen Eindruck machte. Der Anblick der beiden riss Siri aus seinen Grübeleien.
»Morgen, Panoy. Morgen, Schwester Dtui. Was machen Sie denn hier?«
»Die Kubaner sind gelandet. Sie sind gestern Abend eingetroffen. Damit ist mein Dienst beendet.«
»Wie sind Sie hierhergekommen?«
»Mit dem Lastwagen, der die neuen Ärzte vom Flughafen abgeholt hat.«
»Sie haben sich doch nicht etwa als Kindermädchen verdingt?«
»Ich habe herausbekommen, aus welchem Dorf ihre Mutter stammt. Sobald sie wieder gesund ist, bringe ich sie nach Hause.«
»Nett von Ihnen. Die Knochenbrüche sind vermutlich bald verheilt. Wir können sie jederzeit zurückbringen.«
»Äh …«
»Ja?«
»Die Knochenbrüche sind meine geringste Sorge.«
Er legte der Kleinen die Hand auf die Stirn und sah ihr in die Augen. »Hat es Komplikationen gegeben?«
»Das kann man wohl sagen. Die Fahrt mit dem Lastwagen hat sie ein wenig beruhigt, aber es kann jeden Moment wieder losgehen.«
»Was kann jeden Moment wieder losgehen?«
Frau Wunderlichs Geist verfügte über ein exzellentes Timing. Noch während Siri die Kleine anstarrte, ging eine tiefgreifende Veränderung mit ihr vor. Sie kicherte kurz wie eine Vierjährige, dann machte sie da weiter, wo sie aufgehört hatte, mit der Stimme einer alten Frau.
»Nanu.« Siri zog seine buschigen weißen Augenbrauen hoch und machte ein verwundertes Gesicht. »Der Empfang scheint irgendwie gestört zu sein.«
»Erzählen Sie mir mehr.«
»Genaueres kann ich Ihnen leider auch nicht sagen. Wenn sie ein Radio wäre, brauchten wir nur ein
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