Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
langhalsige Schönheit mit scheuem Mona-Lisa-Lächeln und einer rosa Lotusblüte im Haar.
Siri verstand nur zu gut, warum Isandro sich in sie verliebt hatte. Welcher Mann hätte ihr widerstehen können? Aber darum ging es nicht. Die Tatsache, dass die Bilder im Zentrum eines Opferaltars standen, ließ für Siri nur einen Schluss zu. Die Kubaner hatten das Mädchen verhext. Sie hatten ihr buchstäblich das Herz geraubt und sie gegen ihren Willen gezwungen, diesen Mann zu lieben. Odon musste tot sein, sonst hätte er nicht in Siri fahren können. Siri wusste nicht, warum der Mann ausgerechnet ihn für seine Zwecke ausersehen hatte, konnte sich den Grund aber durchaus vorstellen. Siri befürchtete, dass der Endoke-Priester seinen Körper benötigte, um das zu Ende zu führen, was in diesem Tempel begonnen hatte.
Er wusste, dass er Hong Lan finden musste, vermutete jedoch, dass Odon genau das von ihm wollte. Brachte er das Mädchen womöglich von Neuem in Gefahr, wenn er mit ihm Verbindung aufnahm? Und gesetzt den Fall, Hong Lans Familie hatte Odon umgebracht: War es dann nicht besser, die Leichen im sprichwörtlichen Keller zu belassen, um das Mädchen nicht unnötig zu gefährden?
13
DER KLEINE BLAUE PEUGEOT
Im Juli 1977 lag das durchschnittliche Jahreseinkommen eines Laoten bei etwas über achtzig Dollar. Vieles, was im Westen als lebensnotwendig galt, war in Laos ein unerschwinglicher Luxus, den man bestenfalls aus ausländischen Hochglanzmagazinen kannte. So auch Benzin. Die meisten Leute, die ein Auto besaßen und sich nicht rechtzeitig nach Thailand abgesetzt hatten, betrachteten ihre Gefährte als stillgelegt und nutzten sie als Gartenlaube oder Rumpelkammer auf Rädern. Das Gros der Fahrzeuge auf laotischen Straßen gehörte entweder dem Staat oder Ausländern. Wer einen Privatwagen sein Eigen nannte und sich weder der einen noch der anderen Kategorie zugehörig fühlte, stand unter Generalverdacht.
Herr Geung hatte sich alle Mühe gegeben, den Rat des Igels zu befolgen und die Straße sofort zu verlassen, wenn er ein Motorengeräusch hörte. Er war zu Tode erschöpft. Seine Füße waren mit Blasen übersät, und die Muskeln in seinen Beinen flehten ihn förmlich an, endlich Rast zu machen. Aber er musste ins Leichenschauhaus zurück. Dtui hatte ihm geholfen, sich aus Bananenblättern einen Hut zu flechten, der vor der Sonne Schutz bot und ihm
obendrein zur Zierde gereichte. Sie war stets an seiner Seite, geizte nicht mit guten Ratschlägen und feuerte ihn an. Ohne sie hätte er es niemals so weit geschafft, auch wenn er nicht recht wusste, wie weit er gekommen war.
Da sein Gehör langsam nachließ, nahm er die herannahenden Lastwagen und Transporter immer später wahr. Doch seit etwa einer Stunde befand er sich allein auf weiter Flur. Fast schien es, als ginge der Landstraße, genau wie Geung, die Puste aus. Der Asphalt hatte sich nach und nach in Kies, der Kies wiederum in Sand verwandelt. Da ihm die Sonne auf die Schulter schien, wusste Geung, dass er auf dem richtigen Weg war, aber die Straße unter seinen Füßen schien die Hoffnung aufgegeben zu haben, jemals in Vientiane anzukommen.
Da plötzlich schoss ein Auto – ein kleiner blauer Peugeot – aus einem Feldweg knapp hundert Meter weiter. Herr Geung ging mitten auf der Straße, die durch offenes Gelände verlief. Da er sich nirgends verstecken konnte, marschierte er einfach weiter geradeaus. Schließlich gab es keinen Grund zur Sorge. Die alte Frau hatte ihm eingeschärft, sich vor Armeefahrzeugen in Acht zu nehmen. Und die Armee fuhr keine kleinen blauen Autos, so viel stand fest. Er hoffte, der Fahrer würde ihn ignorieren und vorbeifahren, doch der Wagen hielt neben ihm. Der Fahrer hatte offenbar angenommen, auch Geung würde stehen bleiben und ihn ansprechen, aber Geung ließ sich nicht beirren. Nach einer Weile setzte der Peugeot zurück und rollte langsam neben ihm her.
Der Fahrer war ein Mann mittleren Alters mit schwarz gefärbtem Haar und einer Zigarette zwischen den Lippen. »Guten Tag, Genosse«, schrie er gegen den jaulenden Motor an.
»Ich … ich gehe«, sagte Geung.
»Das sehe ich, Bruder. Gehst du freiwillig zu Fuß oder gezwungenermaßen?«
»Ja.«
»Was, ja?«
»Ich … ich g… ich gehe ins Leichenschauhaus.«
»Oha. Warum so pessimistisch, Bruder? Am Gehen ist noch keiner gestorben. Wo willst du denn hin?«
Dass der Wagen rückwärtsfuhr, fand Herr Geung komisch. So komisch, dass er lachen musste. Er hatte die ganze
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