Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
Ausgrabungsstätte. Die Exhumierung der unter dem Wasserlauf verscharrten Leiche erforderte eine Stunde sorgfältiger Arbeit. Sie räumten den kiesigen Sand beiseite und häuften ihn neben sich auf, damit er nicht in das Loch zurückfiel. Schließlich war der Leichnam vollständig freigelegt und schwamm in einem Bad aus kristallklarem Wasser. Siri und Dtui standen rechts und links des Grabes und zitterten in der feuchten Höhle. Ihre Batterien gingen allmählich zur Neige, und die schaurige Szenerie schimmerte im schwachen Licht ihrer Taschenlampen.
»Dtui«, sagte Siri schließlich. »So etwas werden wir in diesem Leben wohl nicht noch einmal zu Gesicht bekommen.«
Die Leute redeten zwar noch mit ihm, aber Herr Geung konnte sie nicht mehr hören. Sie sahen ihn freundlich an, doch er vermochte ihr Lächeln nicht zu erwidern. Wenn er sich konzentrierte, gelang es ihm mit letzter Kraft, einen Fuß vor den anderen zu setzen, einen Fuß … vor … den anderen. Erst links, dann rechts. Erst links, dann rechts. Sein schmerzender Schädel baumelte ihm auf die Brust, und er starrte auf seine Stiefel. Das Leichenschauhaus. Links … rechts … essen … Wasser. Insektenstiche. Links … links, nein, falsch.
Erst ein Dorf, dann noch eins. Und noch eins. Wie viele Dörfer eigentlich noch? Wie viele Kilometer auf der immer gleichen Straße? Hatte er die Sonne im Rücken? Seine Tasche war verschwunden, und damit auch der Schulterriemen. Wo war sie geblieben? War die Sonne überhaupt irgendwo, und sank sie ihm vom Scheitel in den Beutel? Morgens auf … Buckel rauf … wie ging das Lied noch
gleich? Da plötzlich … hörte die Straße einfach auf. Eben war sie noch da gewesen – jetzt nicht mehr. Stattdessen ein breiter, sich zäh dahinwälzender Fluss. Eine Gruppe von Leuten, die stumm miteinander sprechen und dann lachend mit dem Finger auf ihn zeigen. Eine Fähre, ein flacher Metallquader, so schwer, dass er sich fragt, wie sie sich über Wasser hält. Untergehen, ja. Aber schwimmen? Nein. Sie kommt ihm irgendwie … bekannt vor.
Die Gruppe betritt den Metallquader wie eine riesige vielköpfige Krabbe. Wie durch ein Wunder schwimmen sie, die Krabbe, das Auto, das gute Dutzend Motorräder. Ein Junge kommt. Er bohrt Herrn Geung den Zeigefinger in die Brust und streckt die Hand aus. Wieder stößt er ihm den Finger in die Brust. Geung sieht dem Jungen in die Augen und erblickt sein Spiegelbild darin.
Der Metallquader stößt ans gegenüberliegende Ufer, als habe er mit diesem Hindernis nicht gerechnet. Die Krabbe gerät ins Straucheln, fällt aber nicht hin. Herr Geung wird aufs Deck geschleudert. Hände sammeln ihn auf, zerren ihn mit sich. Die Straße taucht wieder auf. Vor ihm, hinter ihm, überall stehen Leute. Zahllose Münder und ebenso viele Zähne. Sie lenken ihn wie ein mit Zuckerrohr bepacktes Fahrrad. Sie lotsen ihn von der Straße, und die Sonne scheint ihm nicht mehr auf die Schulter, sondern auf die Nase, in die Augen. Plötzlich schiebt sich ein Gesicht davor, verdeckt die Sonne, und die Glühbirne über Vientiane erlischt. Es ist ein ausdrucksloses, nichtssagendes Gesicht, das sich da über ihn beugt, wie ein Tischtennisschläger ganz in Schwarz. Herr Geung blinzelt. Warum legt der Tischtennisschläger ihm den Arm um die Schultern und streicht ihm das Haar aus der Stirn?
Er und der Tischtennisschläger drehen sich um die eigene
Achse und tanzen einen sonderbaren Tango. Und wie durch ein Wunder bekommt der Tischtennisschläger mit einem Mal ein vertrautes Gesicht – das Gesicht von Herrn Watajak, dem Mann, der sich dereinst die Mühe gemacht hatte, sieben Kinder zu zeugen, von denen allerdings nur eins ein Dummkopf war.
16
DER WEISSE NEGER
In der einst unter Tarnnetzen verborgenen, jetzt aber offen einsehbaren Küche des militärischen Höhlenkomplexes drängten sich Genosse Lit, Dr. Siri und Schwester Dtui um einen Tisch mit dem nahezu vollständigen Leichnam Isandro Jesus Montanos. Genosse Lit fühlte sich nicht gut. Er hatte sich bereits einmal erbrochen und stand kurz davor, sich ein zweites Mal zu übergeben. Gewiss, er war nervös, denn in knapp vier Tagen würde das gesamte Politbüro einem Konzert beiwohnen, das keine dreißig Meter vom Leichenfundort entfernt stattfinden sollte. Er war nervös, denn die Frau, die seinen Antrag noch immer nicht gebührend zu würdigen wusste, obwohl er sie der Kommission für Partnerschaften und Beziehungen bereits als seine Zukünftige genannt hatte,
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