Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
stand praktisch direkt neben ihm. Doch trotz dieser äußerst unersprießlichen Umstände war es zweifellos der Anblick der Leiche, der ihm den Magen umdrehte.
Er hatte natürlich auch den anderen Kubaner gesehen, ja sogar dessen mumifizierte Leiche getragen. Aber die hatte ihn weniger an einen Menschen, denn an einen knorrigen Baumstamm erinnert. Dieses … Ding hingegen war
obszön. Es wirkte so lebendig, als wollte es jeden Augenblick vom Tisch aufspringen und ihm an die Kehle gehen. Und wie, bitte, konnte jemand, der zeitlebens schwarz gewesen war, so weiß werden? Zwar schillerte sie hier und da in Gelb- und Grüntönen, doch ein Großteil der aufgedunsenen Haut war aschfahl wie das Fleisch des chinesischen Buddha. Siri wusste sogar, wie man diese Erscheinung nannte – adipici … adipoci oder so ähnlich -, aber im Laotischen gab es dafür kein Wort. Dem Doktor zufolge handelte es sich um ein recht ungewöhnliches Phänomen: Da die Leiche in kühler, feuchter Erde begraben worden war, hatte sich das Fett unter Beibehaltung der ursprünglichen Körperform in eine zähe, seifige Substanz verwandelt. Lit dürfe sich glücklich schätzen, meinte Siri, dieser Anblick werde nur wenigen Menschen zuteil.
Doch statt Glücksgefühlen verspürte Lit vor allem eines – Brechreiz. Der käsige Geruch sickerte durch das Tuch, das seine untere Gesichtshälfte bedeckte, und er wusste, dass das, was der Doktor vorhatte, seinem Magen den Rest geben würde.
»Auf zum fröhlichen Schneiden«, verkündete Siri mit Unschuldsmiene. »Nur keine Übelkeit vorschützen.«
Das Skalpell in seiner Hand schimmerte im Morgenlicht.
Lit begann zu schwanken.
Der Diensthabende hatte den Sicherheitschef um Mitternacht geweckt und ihn von der Entdeckung des zweiten Kubaners unterrichtet. Angeblich gab es weiter nichts zu tun, als den Leichnam bis zum Morgen zu bewachen. Lit war gegen sechs in Begleitung zweier Adjutanten eingetroffen, und Siri hatte ihn vor der Konzerthöhle lächelnd in Empfang genommen. Ohne ihren Ekel auch nur
im Geringsten zu verhehlen, hatten die Adjutanten den Leichnam aus seinem Bad auf eine Trage bugsiert und ihn durch den langen Tunnel in die Küche geschleppt.
Währenddessen hatte Siri den Genossen Lit auf den neuesten Stand der Ermittlungen gebracht. Lit hatte dem Doktor zu seiner meisterhaften Detektivarbeit gratuliert und eifrig in sein Notizbuch gekritzelt. Doch jetzt, wo das Skalpell über dem Bauch des Toten schwebte, zog er es vor, sich aus dem Staub zu machen. Er werde später wiederkommen, wenn es ihm besser gehe. Dann, und erst dann, wolle er über das Obduktionsergebnis unterrichtet werden.
Ein wackliger Tisch in einer Freiluftküche inmitten einer Wolke neugieriger Fliegen war schwerlich der ideale Ort für eine postmortale Untersuchung. Der verhältnismäßig gute Zustand der Leiche machte die Sache ein klein wenig erträglicher. Das einzige Anzeichen äußerer Gewalteinwirkung war eine etwa zwanzig Zentimeter lange Inzision im Oberbauchbereich. Zwar mochte sich das Erscheinungsbild der Wunde dadurch, dass der Tote so lange in feuchter Erde gelegen hatte, etwas verändert haben, aber Siri fand weder Narbengewebe noch Tumore, was den Schluss nahelegte, dass der Eingriff nach Isandros Ableben erfolgt war.
Je weiter die Obduktion voranschritt, desto unglaublicher erschien es ihnen, dass sie es mit einer fünf Monate alten Leiche zu tun hatten. Der Grund für das Loch im Abdomen war schnell gefunden. Jemand hatte den Brustkorb geöffnet, um das sehnige Muskelgewebe des Zwerchfells durchtrennen und in die Perikardialhöhle vordringen zu können. Dann hatte er das Herz vorsichtig herausgetrennt und entnommen. Zu diesem Zeitpunkt war Isandro bereits tot gewesen.
»Darf ich jetzt ›Das ist aber komisch‹ sagen?«, fragte Dtui.
»Nur zu«, sagte Siri.
»Das ist aber komisch.«
»Fällt Ihnen sonst noch etwas Merkwürdiges auf?«
»Geben Sie mir einen Tipp.«
»Sehen Sie irgendwo parallele Narben?«
»Nein. Keine Narbe, nirgends. Auch komisch.«
Blieb die Frage, was den Tod des Kubaners verursacht hatte. Sie fanden keine weiteren Verletzungen, keine inneren Traumata, und ohne Labor konnten sie auch den Mageninhalt nicht analysieren. Alles deutete darauf hin, dass Isandro trotz seiner blendenden Gesundheit friedlich verschieden war.
Da sie leider nicht hatten feststellen können, was passiert war, sondern nur, was nicht passiert war, hatten Dr. Siri und Dtui keinen Schimmer, wie es nun weitergehen
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