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Totentanz

Totentanz

Titel: Totentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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informieren lassen und anschließend die Anordnung geben würde, in den nächsten Wochen wiederholt Razzien in Balkantown durchzuführen, eventuell sogar in Zusammenarbeit mit Spezialeinheiten, die er von außen rufen würde. Es war klar, daß dabei nichts herauskommen würde, außer der Ausweisung einer Handvoll verzweifelter Menschen, die keine offizielle Aufenthaltsgenehmigung hatten. Die, um die es wirklich ging, würden mit Sicherheit nicht ins Netz gehen. Wer wußte schon, wer sie waren? Sie wurden meist rechtzeitig gewarnt und waren nicht so blöde, bei einer normalen Razzia aufzufliegen. Da erwischte es immer nur jene, für die der ganze Aufwand nicht lohnte und für die sich unter normalen Umständen ohnehin niemand interessierte, außer als Billigarbeiter. Das alte Lied.
    Obwohl alles gesagt war, machte Pina keine Anstalten, sein Büro zu verlassen. Die Inspektorin blieb einfach sitzen, nur ihr Blick hatte sich verändert. Die ganze Lebhaftigkeit war einer unübersehbaren Bedrücktheit gewichen. Sie hielt sich mit verkrampften Händen an der Sitzfläche ihres Stuhls fest, als hätte sie Angst abzuheben. Die Sehnen zeichneten sich deutlich auf ihren kräftigen Armen ab.
    »Ist noch was?« fragte Laurenti mißtrauisch.
    »Ich brauche Ihren Rat«, sagte Pina leise. »Ganz privat.«
    *
    Vor etwas mehr als einem Jahr war Giuseppina Cardareto nach Triest versetzt worden und hoffte seit dem ersten Tag in der Stadt auf eine erfreuliche Nachricht aus dem Innenministerium. Die gebürtige Kalabrierin verfügte über tadellose Zeugnisse. Nach der Polizeischule in Lecce, Streifendienst in Caserta, Versetzungen nach Gaeta, San Giminiano und Ferrara hatte sie es inzwischen zur Inspektorin gebracht. Sie wollte rasch weiterkommen. Ihre Dienstzeit in Triest begriff sie lediglich als ein unvermeidbares Zwischenspiel, von dem sie sicher bald weiterversetzt würde. Den Antrag hatte sie bereits zwei Tage vor ihrer Ankunft in der Stadt gestellt. Ihr Herz schlug für den Süden des Landes, sie wollte dahin, wo sie Instinkt, Intelligenz und Tatkraft täglich unter Beweis stellen mußte. Nur so konnte sie die nötigen Punkte sammeln, um ihre Karriere zu beschleunigen. Auch aus diesem Grund hatte sie lediglich eine billige Wohnung genommen, die ihr jeden Gedanken an Seßhaftigkeit unmöglich machte. Zwei spartanisch möblierte Zimmer in einem riesigen, unrenovierten Palazzo in der Via Mazzini, an dessen Eingang sechsundfünfzig Klingelschilder wimmelten, viel mehr als man nach einem flüchtigen Blick auf die Fassade vermuten konnte. Das einst großbürgerliche neoklassizistische Gebäude war in Zeiten milder Bauaufsicht in kleinste Einheiten aufgeteilt und seiner früheren Herrschaftlichkeit beraubt worden, von der nur noch die Concièrge-Loge zeugte. Pina, wie Giuseppina von Freunden und Kollegen gerufen wurde, war diese Anonymität mehr als recht. Dreimal die Woche trainierte die versierte Kickboxerin diszipliniert im Polizeisportclub, ansonsten ging sie in ihrer Freizeit kaum unter Leute, zog es vor zu zeichnen oder schrieb an ihren Theaterstücken. Und obwohl sie an der kalabrischen Costa dei Gelsomini aufgewachsen war, haßte sie eines: Schwimmen im Meer.
    An die Tätowierung auf ihrem ausgeprägten Bizeps hatten sich die Kollegen inzwischen gewöhnt, und niemand machte mehr Scherze über das unübersehbare »Basta amore«, das sich zu doppeltem Umfang blähte, wenn sie den Muskel spannte. Nur das zwergenhafte Rennrad, auf dem die Inspektorin stets wie von Furien gehetzt durch die Straßen Triests schoß, reizte zu Bemerkungen. Und manch einer rätselte noch immer, wie sie mit ihrer Ministatur die Aufnahmeprüfung in den Polizeidienst geschafft hatte. Sie war – körperlich – mit Abstand die kleinste Person in der Questura, dafür weit überdurchschnittlich intelligent, belesen und selbstbewußter als alle anderen Kollegen zusammen. Ihr Chef Proteo Laurenti hatte sich inzwischen mit der Schlagfertigkeit der Dreißigjährigen abgefunden und auch damit, daß sie ihm immer mehr Arbeit abnahm, ohne daß er darum bitten mußte. Sie war anders als der träge Antonio Sgubin, ihr Vorgänger, der inzwischen im nahen Gorizia Dienst tat. Und dennoch stand Laurenti dem anhänglichen Langweiler näher als dieser Geheimwaffe der Ordnungskräfte.
    Und nun bat Pina ihn, reichlich aufgewühlt, um eine vertrauliche Unterredung. Privat! Laurenti zog die Augenbrauen hoch. Personalprobleme hatte er in seiner Laufbahn genug kennengelernt, es

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