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Totentanz

Totentanz

Titel: Totentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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die meisten Illegalen mit der Überschreitung der Grenzen kein Ende. Und längst nicht alle waren freiwillig herübergekommen. Vor allem nicht die zigtausend Frauen, die zuvor in Istanbul, Sarajevo und anderen Städten gebrochen worden waren und seiner Organisation danach in Westeuropa das Geld zuscheffelten, das sie auf den Bürgersteigen oder in illegalen Puffs verdienen mußten – und von denen heute keiner mehr sprach, weil die Meldungen keinen Neuigkeitswert mehr hatten. Petrovac baute seine Geschäfte weiter aus und fand neue Kundschaft im Fernen Osten. Wer scherte sich schon um diese Zwangsarbeiter, die ihre illegale Einreise nach Westeuropa in irgendwelchen Baracken auf dem Land oder in den Vorstädten unter menschenunwürdigen Bedingungen oft über Jahre abzahlen mußten? Auch damit hatte sich die satte Gesellschaft abgefunden. Höchstens als billige Arbeitskräfte nahm man sie noch wahr und machte zugleich die miesen Standards zur Meßlatte für die eigenen Arbeitsverträge. Die Industrie drohte ständig damit, die europäischen Standorte aufzugeben. Sollten denn alle wie die Chinesen schuften und wie die Amerikaner konsumieren?
    Doch der listige Kriegsgewinnler JoŽe Petrovac machte dann doch einen folgenschweren Fehler: Der Staatsanwalt mit dem schütteren Haar, der ganz oben auf seiner Abschußliste gestanden und über Jahre unter der ständigen Begleitung seiner Bodyguards gelitten hatte, hörte auf dem Mitschnitt eines Telefongesprächs den Liquidationsbefehl gegen sich selbst. Die Konsequenzen hätte sich Petrovac nie ausgemalt. Er geriet in die Falle des Fahnders und wurde aufgrund internationalen Drucks festgenommen. Dank bester Verbindungen wurde er rasch wieder freigelassen und erst nach weiteren zwei Jahren auf freiem Fuß, zur allgemeinen Verwunderung doch noch eingelocht. Jetzt konnte ihm niemand mehr helfen. Wenn der Mann das nächste Mal entlassen würde, hätte er das Rentenalter längst überschritten. Und Viktor Drakič hatte keine Sekunde gezögert, die Geschäfte zu übernehmen. Insider hatten sogar darüber gemunkelt, daß es Drakič selbst gewesen war, der Petrovac mit gezielten Indiskretionen endgültig ans Messer geliefert hatte. Hai frißt Hai.
    Schnell führte Drakič die Strukturen zusammen. Nun gab es so gut wie kein Busineß mehr, das von ihm nicht beackert wurde, und nicht einmal vor legalen Geschäften schreckte er zurück. Die Verdienste aus Menschen-, Drogen- und Waffenhandel, die erpreßten Schutzgelder vom Schwarzarbeitsmarkt und die enormen Handelsspannen, die er aus der illegalen Müllentsorgung erwirtschaftete, steckte er in sein Tankstellennetz in Dalmatien und Montenegro, sowie in eine Fabrik in der Schweiz, wo seit einigen Jahren das beste Präzisionsschützengewehr der Welt entwickelt wurde. Warum sollte er sein Kapital in andere investieren und in Produkte, die er nicht brauchte? Diese Waffe war eine Vision aus seiner eigenen Erfahrung im Bürgerkrieg, und endlich konnte er sie realisieren.
    Vor einem Jahr hatte Viktor Drakič dank seiner exzellenten Verbindungen zur kroatischen Nomenklatura die Insel Porer mit einem neunundneunzig Jahre dauernden Pachtvertrag erworben. Ein Geschenk, das er sich zum vierzigsten Geburtstag gemacht hatte. Als einzige Bedingung mußte er die Funktion des 1833 erbauten und fünfunddreißig Meter hohen Leuchtturms gewährleisten. Das kam ihm mehr als gelegen, denn mittels dieses Ausgucks und zusätzlicher technischer Installationen wurde das kahle Eiland von achtzig Metern Durchmesser zu einer fast uneinnehmbaren Festung. Fort Knox vor der Südspitze Istriens, zweieinhalb Kilometer vom Festland entfernt. Zehn Minuten dauerte die Überfahrt mit der hochmotorisierten Yacht nach Pula und zwanzig Minuten nur der Flug mit dem Hubschrauber nach Triest, kaum eine Stunde nach Zagreb oder Ljubljana. Nur wenige Jahre waren die beiden Steinhäuser am Fuß des Leuchtturms an Sommergäste im Robinsonwahn vermietet worden. Drakič hatte an- und umbauen lassen. Schwierige Strömungsverhältnisse und meist starker Wind schützten vor ungebetenen Besuchern oder orientierungslosen Hobbykapitänen, und wer vermutete schon, daß hier jemand anders als ein exzentrischer und schwerreicher britischer Künstler, wie damals in der Presse zu lesen war, sein Quartier aufgeschlagen hatte. Nur bei extremen Witterungsverhältnissen hatte Porer den Nachteil, daß Drakič die Insel nicht verlassen konnte. Dann mußte einer seiner Statthalter nach dem rechten sehen

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