Totentanz
Explosion zweitausendfünfhundert Kugeln schießen. Sie ist nicht so wahnsinnig laut, aber die Detonationskraft enorm. Gegen ein Uhr dreißig wurde sie von der Scala dei Giganti oberhalb der Einfahrt der Galleria Sandrinelli gezündet und, der Entfernung nach zu schließen, von einem vermutlich guttrainierten Mann auf die Via Pellico hinuntergeworfen. Man kann von Glück sagen, daß in diesem Moment kein Wagen aus dem Tunnel kam. So wurden lediglich drei geparkte Autos demoliert und die Haustür des Palazzo, vor dem sie losging.«
»Und warum hat man das erst fünf Stunden später bemerkt? Das Ding explodierte schließlich nicht in der Peripherie, sondern in der Stadtmitte.«
Pina versuchte erst gar nicht ihr Grinsen zu verstecken. »Außerhalb wäre es sofort gemeldet worden. Aber hier? Nicht nur, daß es gerade vierhundert Meter zur Questura sind, in dem Haus wohnt auch noch ein hochrangiger Kollege. Selbst er hat nichts bemerkt. Das kann auch nur in Triest passieren, wo jedem alles scheißegal ist, solange es nicht ihn selbst betrifft.« Pina, die aus einer kleinen kalabrischen Landgemeinde stammte, hatte die Vorzüge der Stadt noch immer nicht zu schätzen gelernt.
»Da explodiert mitten im Zentrum eine Granate, und niemand kriegt das mit?« Laurenti schüttelte ungläubig den Kopf. »Haben Sie mit den Streifenbeamten gesprochen? Dem Leiter des Schichtdienstes?«
»Die schlafen jetzt. Das genügt am Nachmittag.« Pina hatte im Gegensatz zu ihrem Chef Mitgefühl für die rangniedrigeren Kollegen. Ihre Mundwinkel zuckten leicht, sie hielt einen Augenblick inne, bevor sie fortfuhr. »Übrigens war das höchstens zweihundert Meter von der ›Gran Malabar‹ entfernt, in der Sie zu der Zeit noch gesehen wurden, Chef.«
Laurenti nahm abrupt die Füße vom Tisch, stützte die Ellbogen auf und beugte sich zu Pina hinüber. Es gefiel ihm nicht, wie sie das Wort »Chef« ausgesprochen hatte. »Und was wollen Sie damit sagen?« fragte er.
»Daß nicht einmal Sie die Explosion gehört haben«, sagte Pina leicht errötend.
Laurenti winkte ab. »Also, fahren Sie fort, der Questore hat für zehn Uhr eine Sitzung anberaumt. Gibt es einen Zusammenhang mit den Schießereien der letzten Wochen?«
Pina hob die Achseln. »Nicht auszuschließen.«
»Hat nicht dieser Kollege, vor dessen Haustür das Ding explodiert ist, in der serbischen Gemeinde ermittelt?«
»Ich würde nicht behaupten wollen, daß es ihm gegolten hat, nur weil die Granate aus dem ehemaligen Jugoslawien stammt. Bis vor ein paar Jahren war es nun wirklich ein leichtes, an deren ehemalige Armeebestände zu kommen.«
»Aber ausschließen können Sie das auch nicht.«
»Die Kollegen vom Streifendienst sind übrigens nicht glücklich darüber, daß ihnen die Ermittlungen entzogen und uns übertragen wurden.«
»Ich wette, daß auch Ihre Kollegen nicht darüber glücklich sind«, sagte Laurenti. »Fahren Sie fort.«
Pina faßte zusammen, was er ohnehin schon wußte. Doch Laurenti ließ sie reden. Vor kurzem war in der Via Vecellio auf einen Wagen geschossen worden, wobei zwei der fünf Insassen verletzt wurden. In Triest lebende Serben, die bereits vor Jahren in eine Ermittlung wegen Drogenschmuggels aus Bulgarien verwickelt waren. Beide befanden sich inzwischen außer Lebensgefahr, doch reden wollten sie nicht. Sieben Tage später dann Schüsse auf das Wohnungsfenster eines Sizilianers, der ebenfalls die Klappe hielt. Nach anfänglichen Spekulationen der Tagespresse darüber, was in »Balkantown«, dem Viertel nahe dem Ospedale Maggiore, vor sich ging, wobei von Vendetta, Schutzgeld, Mafia und Camorra zu lesen war, gab es nur eine Gewißheit. Sowohl der Serbe als auch der Sizilianer waren im Baugewerbe tätig. Wahrscheinlich handelte es sich um den Anschlag eines unzufriedenen Kunden.
Natürlich fiel zunächst einmal ein schlechtes Licht auf alle Serben. Die Presse sprach von offiziell sechstausend Mitgliedern dieser Gemeinde in der Stadt, die seit dem Balkankrieg aber mindestens fünfzehntausend Köpfe zählte, die alle verzweifelt versuchten, in Westeuropa ein besseres Auskommen zu erwirtschaften. Morgens standen oft Hunderte Männer an der Piazza Garibaldi, in der Hoffnung, sich für Hungerlöhne verdingen zu können, und sogar von fremdenfeindlichen Hetzern angeheuert wurden, wenn es nur darum ging, Geld zu sparen.
Laurenti hörte sich Pinas Bericht zu Ende an. Für die Sitzung wußte er genug. Es war absehbar, daß der Chef sich mit leerem Gesicht
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